Bevor ich anfange, möchte ich etwas andeuten:
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Ich will die Korruption – egal in welcher Form und aus welchen Gründen sie stattfindet – nicht reinwaschen. Ich möchte jedoch zeigen, dass dieser Skandal nicht allein auf der ukrainischen Korruption basiert. Dennoch bleibe ich bei meiner Behauptung: Wäre Selenskyj offen und ehrlich mit all diesen Fragen umgegangen und hätte er die Karten noch vor diesem Skandal auf den Tisch gelegt, wäre er heute unschlagbar und unantastbar gewesen – wie eine Spielfigur, die den God-Mode-Code aktiviert bekommt. Jetzt muss er ums Überleben kämpfen.
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Über diesen Skandal schreibe ich, weil er nun öffentlich geworden ist. Es gibt vieles, wofür Selenskyj meiner Meinung nach kritisiert werden kann. Aber ich tue es aus zwei Gründen nicht:
-Ich bin nicht bereit, einem kämpfenden, angeschlagenen Land ein Messer in den Rücken zu stoßen, nur weil ich ein Wahrheitsliebhaber bin. Aber die Informationsbombe ist geplatzt, und wir müssen nun die Trümmer ausschaufeln.
-Ich versuche immer, aus der Sicht eines Europäers zu schreiben und auf die Punkte hinzuweisen, die in diesem Krieg für die Sicherheit Europas von Bedeutung sind.
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Im ersten Teil erläutere ich die Hintergründe dieses Skandals. Bei diesem Teil bin ich mir der Wahrhaftigkeit praktisch sicher. Im darauffolgenden Abschnitt präsentiere ich meine Überlegungen, die ich auf umfangreiche Recherchen stütze. Dort kann ich nur sagen, dass die Wahrheit tatsächlich viel tiefer liegen kann. Heute kann ich nur das präsentieren, was ich an der Oberfläche gefunden habe.
Nun zur Sache
Was ist da passiert?
Im Zentrum des jüngsten großen Korruptionsskandals in der Ukraine steht das staatliche Unternehmen „Energoatom“, der Betreiber aller aktiven Atomkraftwerke des Landes. Abgesehen von der unter russischer Besatzung stehenden Zaporischschja-AKW ist Energoatom für etwa 60 % der gesamten Stromerzeugung in der Ukraine verantwortlich. Seine Stabilität ist nicht nur entscheidend für die Energieversorgung, sondern auch für die nationale Sicherheit: Ohne zuverlässige Stromzufuhr können Rüstungsbetriebe nicht arbeiten, Haushalte im Winter frieren, und die militärische Verteidigung wird massiv beeinträchtigt.
Um dieses kritische Infrastrukturunternehmen vor jeglichen Risiken zu schützen – sei es durch russische Angriffe oder finanzielle Instabilität – genießt Energoatom einen besonderen rechtlichen Status: Es ist faktisch unantastbar gegenüber Zwangsvollstreckungen. Auch gerichtliche Urteile gegen das Unternehmen können nicht vollstreckt werden – weder in Friedens- noch erst recht nicht in Kriegszeiten. Konten können nicht gesperrt, Vermögen nicht gepfändet werden. Dieser Schutz sollte ursprünglich sicherstellen, dass das Unternehmen ungestört arbeitet. Doch genau dieser Immunität hat sich eine korrupte Elite bedient.
Dieser rechtliche Sonderstatus wurde systematisch ausgenutzt, um eine massive Erpressungs- und Bestechungsstruktur aufzubauen. Da Energoatom offiziell zahlungsunfähig ist – bei Schulden in Höhe von Dutzenden Milliarden Griwna – und Lieferanten keine realistischen Chancen haben, ihre Forderungen gerichtlich durchzusetzen, entstand ein perfektes Umfeld für Korruption.
Unternehmen, die Dienstleistungen erbringen oder Ausrüstung an Energoatom liefern, wurden mit einem Ultimatum konfrontiert:
„Entweder zahlt ihr einen ‚Rückfluss‘ von 10–15 % des Auftragswertes – oder ihr bekommt gar nichts.“
Diese Methode wurde intern als „Schlagbaum“ bezeichnet: Wer bezahlte, konnte durchfahren. Wer sich weigerte, blieb stecken – ohne Zahlung, ohne Aussicht auf Rechtsdurchsetzung.
Beteiligte: Eine mächtige Netzwerk aus Politik und Wirtschaft
Das System wurde von hochrangigen Vertretern aus Politik, Justiz und Wirtschaft gesteuert. Zu den zentralen Akteuren gehören:
Timur Minditsch – Geschäftspartner von Präsident Wolodymyr Selenskyj, Mitinhaber der Produktionsfirma „Kwartal 95“.
Herman Holuschtschenko – ehemaliger Justizminister
Olexej Tschernyschow – ehemaliger Vizepremierminister und früherer Chef des staatlichen Energiekonzerns „Ukrenergo“.
Weitere hohe Beamte, Manager und Unternehmer
Diese Personen platzierten Vertraute in Schlüsselpositionen bei Energoatom und nutzten deren Macht, um die Schmiergeldzahlungen zu koordinieren.
Zur Verschleierung der illegalen Geldströme wurde ein sogenanntes „Back-Office“ eingerichtet – ein geheimes Büro im Zentrum von Kiew. Dort wurde eine Parallelbuchhaltung geführt, und die Einnahmen aus Bestechungsgeldern wurden organisiert. Von dort aus wurden die Gelder auf verschiedene Konten geleitet und gewaschen.
Laut Ermittlungen flossen über diese Kanäle mehr als 100 Millionen US-Dollar ab.
NABU: Wie der Skandal aufflog
Die Aufdeckung verdanken wir dem Nationalen Antikorruptionsbüro der Ukraine (NABU) – einer speziellen Einrichtung, die nach der Maidan-Revolution 2014 geschaffen wurde, um die tief verwurzelte Korruption in der ukrainischen Elitenklasse zu bekämpfen. Das NABU ist unabhängig von Regierung und Parlament und berichtet nur einer Sonderkommission, an der auch internationale Experten beteiligt sind.
Das NABU hatte den „Back-Office“-Raum beschattet und Dutzende Stunden abgehörter Gespräche gesammelt. Dabei stellte sich heraus, dass das Büro dem Sohn des abtrünnigen Parlamentsabgeordneten Andrej Derkatsch gehörte, der nach Russland geflohen war und mittlerweile als Senator in der Region Astrachan fungiert.
Bei Durchsuchungen fanden Ermittler Gegenstände mit Symbolik der russischen FSB sowie eine Visitenkarte, die auf mögliche Kontakte zur russischen Seite hinweisen könnte.
Besonders brisant: Teile der Telefonaufzeichnungen deuten darauf hin, dass Gelder auch nach Russland transferiert wurden – was den Vorwurf des Hochverrats verstärkt.
Aufgrund der Beweise wurden umfangreiche Durchsuchungen durchgeführt – auch bei Minister Holuschtschenko und in den Büros von Energoatom. Daraufhin traten sowohl Justizminister Holuschtschenko als auch Energieministerin Swetlana Grintschuk zurück. Präsident Selenskyj erklärte, dass ihre Fortsetzung im Amt „unannehmbar“ sei.
Doch der größte Schock kam kurz vor den Razzien: Timur Minditsch und mehrere andere Hauptverdächtige verließen die Ukraine – legal, da Mindich Vater von drei Kindern ist. Erst danach wurde ein Sanktionspaket gegen Minditsch verhängt:
Der Skandal um „Energoatom“ ist nicht nur eine Geschichte über traditionelle Korruption im Zusammenhang mit bestimmten Personen. Es ist ein Symptom der Ermüdung und des Zusammenbruchs eines Systems paralleler Macht, das bereits in den 1990er Jahren unter Kutschma angelegt wurde. Dieses System funktioniert trotz Revolutionen, Kriegen und westlichen Reformen weiter.
Das Problem basiert auf dem einzigartigen sowjetischen Erbe:
Nach dem Zerfall der Sowjetunion verblieben in der Ukraine etwa 40 % der sowjetischen Konstruktionsbüros, der geschlossene Nuklearzyklus, ein für den Fall eines Dritten Weltkriegs geplantes Energiesystem sowie Monopole in den Bereichen Energie, Gas und Verkehr – und das alles ohne ein echtes Marktmodell.
Als in den 1990er Jahren die sogenannte „Aufteilung der Beute“ begann, wurden keine neuen Unternehmen gegründet. Stattdessen wurden bestehende Unternehmen neu verteilt. Dabei entstand eine Struktur extremer Machtkonzentration: eine Person, eine Struktur und ein einziger Finanzstrom standen unter totaler Kontrolle.
„Energoatom“ ist dabei nicht nur ein Staatsunternehmen, sondern ein regelrechter Selbstbedienungsladen. Sein privilegierter Status, der eigentlich Stabilität sichern und vor Gerichtsverfahren schützen sollte, wurde jedoch manipuliert und regelrecht ausgenutzt.
Lange Zeit kontrollierte das Team um den ehemaligen Abgeordneten und Ex-Chef von „Energoatom“, Derkatsch – den Sohn eines KGB-Generals, der später russischer Senator wurde – die Geldflüsse.
Sie nutzten jahrzehntelang Grauzonen für den Kauf russischer Ersatzteile, angereicherten Urans und Dienstleistungen über Drittländer, Offshore-Gesellschaften und Schattenbanken.
Die Machtübernahme durch Selenskyj zerstörte dieses System nicht, sondern wechselte dessen Besitzer: Der „Selbstbedienungsladen“ ging von Derkatsch an seinen Partner bei – Timur Minditsch – über.
Das Management blieb dasselbe, da eine Trennung der technologischen Ketten zu Russland innerhalb kurzer Zeit unmöglich ist. Sehr viele Anlagen benötigen Ersatzteile und ganze Blöcke, die nur in Russland produziert wurden. Und solange diese Abhängigkeit existiert, existieren auch die Schatten-Netzwerke.
Diese Situation ist kein Zufall, sondern ein systemisches Phänomen.
Da dieses Phänomen in der Ukraine schon seit langer Zeit auch schon vor dem Krieg bekannt war, stellt sich nun die zentrale Frage: Warum begann die Nationale Anti-Korruptionsbehörde (NABU) plötzlich, mitten im Krieg, als das Land Einheit brauchte, Audioaufnahmen ins Internet zu stellen und die Stimmen von Beteiligten zu zeigen? Hat jemand von euch eine seriöse Ermittlung gesehen, bei der das Ermittlungsmaterial einfach so ins Netz gestellt wurde? Kann man sich das überhaupt vorstellen?
Die Antwort ist einfach: Dies ist keine klassische Ermittlung, sondern eine Informationsoperation.
Bis 2024 fungierte die NABU, die unter Beteiligung des FBI, mit einem Residenten in Kiew und Kooperationsmemoranden geschaffen wurde, als Instrument der Demokratischen Partei der USA. Sie trat als „weißer Ritter“ zur Korruptionsbekämpfung und zur Schaffung eines „demokratischen Vorbilds“ aus der Ukraine auf.
Nach den Wahlen von 2024 und dem Amtsantritt der Trump-Administration verlor die NABU jedoch ihre Priorität, ihre Finanzierung wurde eingefroren und sie wurde „herrenlos“. Der Aktivitätsschub im Februar 2025 erklärt sich dadurch, dass die neue US-Regierung Argumente braucht. Sie will den amerikanischen Steuerzahlern beweisen, dass die 37 Milliarden Dollar, die in drei Kriegsjahren für die Ukraine ausgegeben wurden, nicht nur in die Taschen der Kiewer Beamten flossen, sondern vor allem in die Taschen der Demokraten.
Die NABU veröffentlicht die Aufnahmen, um zu zeigen, dass es weniger um ukrainische Korruption geht, sondern um Korruption im amerikanischen politischen System. Damit soll die Legitimität von Biden und seinem Team geschwächt werden.
Die Demokraten gaben der Ukraine Milliarden, doch ein Teil dieses Geldes floss über US-NGOs, Stiftungen, Zuschüsse und Firmen in angebliche „Beratungsleistungen“.
Das soll Zweierlei Zwecke verfolgen:
Trump ein „Beweisstück“ liefern:
Woher kommen diese Zahlendrehungen, wenn Trump behauptet: „Wir haben 300 Milliarden Dollar ausgegeben“, und Selenskyj seine Buchhaltung vorlegt und sagt: „Nein, wir haben nur 100 Milliarden bekommen“? Das Interessante an dieser Geschichte ist: Beide haben recht.
Die USA haben 300 Milliarden ausgegeben, doch zwei Drittel dieses Geldes blieben in Amerika – durch Korruptionskanäle, durch die Auffüllung der eigenen Waffenlager und durch interne Dienstleistungen.
Was die Ukraine tatsächlich erhalten hat, war nur das verbleibende Drittel: etwa 100 Milliarden Dollar.
Der wesentliche Zweck, der aus diesem Punkt resultiert ist der politische Kampf von Trump gegen Demokraten.
Der zweite Zweck ist, Selenskyj weichzukriegen oder abzusetzen. Er ist zu stur, er gibt einfach nicht nach. Trump gefällt diese Lage nicht. Denn anstatt das Geld zusammen mit Putin zu verdienen, muss er sich mit den Wünschen von Selenskyj auseinandersetzen, der seiner direkten Pflicht nachgeht, sein Land zu verteidigen.
Selenskyj ist unbequem, stur und wird deshalb weltweit sowohl von Wählern als auch von Politikern stark unterstützt. Und Trump kann dagegen nicht viel ausrichten – seine Positionen wirken ohnehin nicht besonders stark. Wenn er versucht, Selenskyj „zu schlucken“, wird er sehr schweren Magen bokommen.
Deswegen wird Selenskyj wie ein zähes Stück Fleisch weichgekocht, um die Verdauung zu erleichtern.
Diese Korruption ist nicht ausschließlich „ukrainisch“; sie ist im Wesentlichen amerikanische Korruption, die sich als Hilfe tarnt. Dazu gehören Zuschüsse an NGOs, die Geld für die „Korruptionsbekämpfung“ erhalten, aber keine echten Ermittlungen durchführen; Firmen, die Verträge zur „Modernisierung des Energiesystems“ erhalten, aber Ausrüstung zum 2–3-fachen des Marktpreises liefern; und Medien, die Finanzierung für „Recherchen“ erhalten und Skandale veröffentlichen, wenn es politisch notwendig ist. Dies ist institutionalisierte Rente, und die NABU ist mit ihren in Umschlägen bezahlten Detektiven und Chefs – Abkömmlingen von SBU, MIA, Staatsanwaltschaft mit denselben Verbindungen wie die „Back-Offices“ – ein Instrument dieses Systems. Sie kämpfen nicht gegen Korruption, sondern um das Recht, sie zu verwalten.
Die Trump-Administration strebt nicht danach, „der Ukraine zu helfen“, sondern will den Amerikanern zeigen, dass „Sie für etwas bezahlen, das nicht funktioniert“. Das ideale Szenario läuft wie folgt ab: Die NABU veröffentlicht den Skandal um Minditsch, einen „Freund Selenskyjs“, in den Medien wird eine Kampagne entfaltet, in der es heißt, „Selenskyj ist ein Korrupter, der mit dem Westen verbunden ist“, woraufhin der US-Präsident erklärt: „Wir werden nicht für Korruption in Kiew zahlen.“ Die Ukraine sieht sich gezwungen, Selenskyj aufzugeben, um neue Gelder zu erhalten, ein neues Kabinett unter Washingtons Kontrolle wird gebildet, eine Prüfung aller 37 Milliarden Dollar wird eingeleitet, und die Ukraine stimmt der Übergabe der nicht besetzten Territorien, Trump kassiert seinen Friedensnobelpreis und fängt an Geschäfte mit Putin zu machen. Dies ist keine Ermittlung, sondern ein sorgfältig geplanter Plan.
Die Ermittlung verfolgt drei Ziele: den Präsidenten der Ukraine zu wechseln, der inakzeptabel geworden ist, da er sich nicht unterordnet und nicht zurücktreten will; einen Vorwand zu schaffen, eine moralische Immunität für die USA zu schaffen, indem erklärt wird: „Wir sind nicht schuld, schuld sind die Demokraten, die dieses System finanziert haben.“ Dies ist kein Kampf gegen Korruption, sondern ein Kampf um die Kontrolle über die Ukraine.
Es gibt eine Reihe von Merkwürdigkeiten in dieser Ermittlung:
Audioaufnahmen im Internet: In einem normalen Land wird im Gericht ermittelt, aber da werden Videos und Audios auf TikTok und YouTube veröffentlicht, als wäre es eine Show. Dies geschieht, um öffentlichen und keinen juristischen Druck zu erzeugen und Selenskyj zum Rücktritt vor einem Gerichtsverfahren zu zwingen.
Aktivierung der NABU: Als Selenskyj versuchte, die NABU der Generalstaatsanwaltschaft zu unterstellen, und diese Proteste auslöste, unterwarf sich die Behörde nicht. Nun, da er sich ihren Interessen nicht unterordnet, startet die NABU den Angriff. Dies ist ein Machtkampf zwischen den Eliten.
Keine Beschlagnahmung von Vermögenswerten: Die NABU hat keine Vermögenswerte beschlagnahmt, weil sie das System nicht zerstören, sondern nur dessen Eigentümer wechseln will.
Heute existieren in der Ukraine drei „Länder“ nebeneinander: Die Echte Ukraine – Ingenieure, Disponenten, Soldaten, die das Land verteidigen und Energiesystem innerhalb von Stunden wiederherstellen;
das Nationale Korruptionssystem – Derkatsch, Minditsch, Haluschtschenko, die auf dem sowjetischen Erbe parasitieren;
und das Transnationale Korruptionssystem – USAID, Zuschüsse, NGOs, die auf der amerikanischen Hilfe parasitieren. Die NABU fungiert als Waffe des dritten Systems.
Ja, dieser Skandal kann Selenskyj erheblich schaden und ihn vielleicht sogar aus dem Sattel schleudern. Und er wird hierzulande vielen Putin-Anhängern wunderbare Argumente liefern, die Ukraine nicht zu unterstützen – schließlich sei das Land korrupt. Ja, das Land steckt immer noch in den von der Sowjetunion vererbten Schuhen, die längst zu klein geworden sind und den Fuß mächtig zusammendrücken.
Die technologischen Abhängigkeiten, die Verwachsungen zwischen Betrieben und Behörden mit Russland, der Druck, der Zwang und die Erpressung aus Amerika. Die europäischen und amerikanischen Partner und einzelne Politiker, die durch ihre Schwäche und Angst die Ukraine praktisch im Stich gelassen haben – gerade in den Jahren, in denen ihre Armee stark und motiviert war. Alle mussten warten, bis die Ukraine den Blutpreis dafür bezahlt, der ganzen Welt zu zeigen, dass der Bär, der sie angefallen hat, doch nicht die großen Zähne besitzt, die er immer zur Schau stellt.
Ich möchte die westlichen Politiker jetzt nicht beschuldigen. Sie haben schließlich für das Wohl ihrer eigenen Bevölkerung zu sorgen und nicht für das der ukrainischen. Dennoch – und das schreibe ich praktisch in jedem meiner Beiträge – bin ich dafür, dass wir hier auf dem Kontinent die Regeln und die Sicherheitsarchitektur bestimmen. Wir können und müssen die Interessen Russlands berücksichtigen, aber nicht als wichtigste Bedingung dieser Frage.
Und dafür müssen wir zeigen, wer der Herr im Haus ist. Und das darf unter heutigen Bedingungen auf keinen Fall der Verbund aus China, Russland, Nordkorea und Iran werden. Um das durchzusetzen, brauchen wir Dominanz und Stärke.
Und jetzt kommt die Frage: Wozu brauchen wir die Ukraine, um unsere Interessen auf dem Kontinent durchzusetzen? Ich habe diese Frage sehr akribisch in meinem Beitrag „Das ist nicht unser Krieg“ beleuchtet. Aber ich möchte das jetzt aus einem etwas anderen Blickwinkel betrachten.
Ich habe sehr, sehr lange Zeit in meinem Leben Kampfsport betrieben. Heute agiere ich in meiner Freizeit als Trainer. Und ich bin in einer Gegend aufgewachsen, in der man sehr schnell auf die Fresse kriegen konnte, wenn man das falsche Stadtviertel ohne Grund betreten hat.
Und ich möchte sagen:
Wir stehen jetzt vor einer dunklen Gasse, in der böse Jungs lauern können. Ich muss durch diese Gasse hindurch. Und ich verstehe genau, dass ich an meiner Seite lieber einen Freund mit kräftigen Fäusten und einem Löwenherz habe – auch wenn er Eintragungen im Vorstrafenregister besitzt –, als einen gesetzestreuen Muttersöhnchen, der sein ganzes Leben Geige gespielt hat, noch nie eine Schlägerei erlebt hat, dafür aber ein leeres Strafregister vorweisen kann. Ich weiß es ganz genau, ich war in solchen Situationen, und meine Erfahrung zeigt mir genau das.
Genauso ist es heute mit der Ukraine. Die Ukraine hat gezeigt, dass sie vielleicht nicht die sauberste Weste hat, dafür aber Herz und Fäuste. Und ich würde mir nicht wünschen, dass die Ukraine sich zu den bösen Jungs stellt, die in der dunklen Gasse warten, sondern ich würde mir wünschen, dass die Ukraine an unserer Seite bleibt und wir uns gegenseitig verstärken.
Was ich unter der dunklen Gasse verstehe, beschreibe ich im nächsten Beitrag – sonst wird es hier zu viel.