Wo endet das Recht auf Verteidigung?

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Re: Wo endet das Recht auf Verteidigung?

Beitragvon Staber » Mo 7. Okt 2013, 19:33

Na ja, schon erstaunlich, das man neuerdings Kanthölzer in der Straßenbahn findet. Mir fehlt hier die Verhältnismäßigkeit. Die Jungs haben doch gemerkt, dass der Mann betrunken war. Die hätten dem Betrunkenen locker weglaufen können, um der Situation aus dem Weg zugehen. Aber das liebe Testosteron macht auch denen einen Strich durch die Rechnung. Die nächste Frage die ich mir stelle, wieso haben sich die Jugendlichen erst am nächsten Tag bei der Polizei gestellt. Warum sind sie nicht nach dem Vorgang am Tatort geblieben. Wenn ich reinen Gewissens bin, brauche ich auch nicht abhauen. Bin mal gespannt, wie die Richter darüber entscheiden.

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Re: Wo endet das Recht auf Verteidigung?

Beitragvon AlexRE » Mo 7. Okt 2013, 19:38

Diese Aussage des Staatsanwalts ist (mal wieder, das ist typisch für Notwehrfälle) irreführend:

Staatsanwalt Kumpa sagt: "Wenn man mit einem gefährlichen Gegenstand angegriffen wird, dann darf man sich mit einem solchen verteidigen, um den Angriff abzuwehren. Wenn man sich dennoch weiter in einer Notwehrlage befindet, darf man auch zum Gegenangriff übergehen. Jeder hat das Recht, sich zu verteidigen."


http://www.welt.de/vermischtes/article120704516/Wo-endet-das-Recht-auf-Verteidigung.html

In Wahrheit ist es piepegal, ob der Angreifer auch einen gefährlichen Gegenstand einsetzt. Bei Angriffen auf die körperliche Unversehrtheit (und außer bei Bagatellbeträgen auch auf das Eigentum und andere Rechtsgüter) kommt es nur darauf an, dass dem Verteidiger keine milderen Mittel zur Verfügung stehen, mit denen er den Angriff ohne unzumutbare Vergrößerung des eigenen Risikos auch abwehren könnte.

Nur deswegen ist auch relevant, ob der Angreifer betrunken war oder nicht. Das hat nicht etwa mit der Schuldfähigkeit des Aggressors zu tun, sondern nur damit, dass es ein zumutbares milderes Verteidigungsmittel ist, einen total Besoffenen, der kaum noch gerade laufen kann, wegzuschubsen statt ihn niederzuschlagen oder auf ihn zu schießen (Schutzwehr statt Trutzwehr).

Wenn sich aus dem erkennbaren Grad der Betrunkenheit keine geringe Gefährlichkeit des Angreifers ergibt, war der Einsatz des Kantholzes auf jeden Fall gerechtfertigt, ob der Angriff nun mit einem Gürtel oder mit den Fäusten erfolgte.

Eine weitere Besonderheit dieses Falles ist die Frage, ob der Verteidiger den Angreifer aufgefordert hatte, auszusteigen und sich zu schlagen (siehe: Notwehrprovokation).

In dem Falle würde das hier nicht uneingeschränkt gelten:

Und: Ist die Version des Jugendlichen, nach der nicht er den ersten Schlag setzte, überhaupt richtig? Dass das Trio angesichts der brenzligen Lage nicht einfach davonlief, um eine Eskalation zu vermeiden, ist ihm juristisch indes nicht vorzuwerfen. Staatsanwalt Kumpa: "Das Recht muss dem Unrecht nicht weichen."


Einem provozierten Angriff muss man ausweichen, wenn der Rückzug risikolos möglich ist. Wenn man sich nicht zurückziehen kann, hat man aber auch dann noch ein Recht auf Selbstverteidigung.
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Re: Wo endet das Recht auf Verteidigung?

Beitragvon AlexRE » Mo 7. Okt 2013, 19:52

Staber hat geschrieben:Na ja, schon erstaunlich, das man neuerdings Kanthölzer in der Straßenbahn findet. Mir fehlt hier die Verhältnismäßigkeit. Die Jungs haben doch gemerkt, dass der Mann betrunken war. Die hätten dem Betrunkenen locker weglaufen können, um der Situation aus dem Weg zugehen. Aber das liebe Testosteron macht auch denen einen Strich durch die Rechnung. Die nächste Frage die ich mir stelle, wieso haben sich die Jugendlichen erst am nächsten Tag bei der Polizei gestellt. Warum sind sie nicht nach dem Vorgang am Tatort geblieben. Wenn ich reinen Gewissens bin, brauche ich auch nicht abhauen. Bin mal gespannt, wie die Richter darüber entscheiden.

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In diesem in dem Artikel falsch dargestellten Fall (das war ein Landgericht und das Urteil lautete auf versuchten Totschlag) ist sehr wahrscheinlich eine ähnliche Überlegung wie Deine mit dem Kantholz dem Verteidiger zum Verhängnis geworden:

Recht vor Unrecht

Vor Gericht gab der 30-Jährige an, er habe vor der Messerattacke "panische Angst" gehabt. Es sei keine Option gewesen, nur mit dem Messer zu drohen. "Ich glaube nicht, dass das kleine Messerchen abschreckend wirkt. Die hätten mich dann erst recht zusammengeschlagen", sagte der Mann.

Der Richter am Oberlandesgericht erkannte zwar eine Notwehrlage, hielt den Angriff des 30-Jährigen dennoch für überzogen und verurteilte ihn wegen schwerer Körperverletzung. Der Angeklagte sei während der Geschehnisse vom Opfer zum Täter geworden. Bei der Düsseldorfer Straßenbahn-Schlägerei sind die wichtigsten Fragen noch nicht geklärt: Gab der 44-Jährige nach dem ersten Schlag mit dem Kantholz tatsächlich keine Ruhe?


http://www.welt.de/vermischtes/article1 ... igung.html

Wieso läuft der Kerl mit einem Messer herum und lässt sich auf Provokationen von pubertären Jugendlichen ein? Die Richter wussten allerdings, dass diese Frage nicht zur Ablehnung der Notwehrlage reichte und deshalb haben sie behauptet, dass mildere Mittel zumutbar gewesen wären (was nicht stimmt). Für mich haben sie damit die zulässigen richterlichen Gestaltungsmöglichkeiten überzogen.

Was die Alkoholisierung des Angreifers betrifft: Siehe oben, der muss schon so besoffen gewesen sein, dass allein deshalb eine zurückhaltendere Selbstverteidigung zumutbar war. Das muss jetzt erst einmal ermittelt werden.
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Re: Wo endet das Recht auf Verteidigung?

Beitragvon Excubitor » Mi 9. Okt 2013, 12:07

Staber hat geschrieben:Na ja, schon erstaunlich, das man neuerdings Kanthölzer in der Straßenbahn findet. Mir fehlt hier die Verhältnismäßigkeit. Die Jungs haben doch gemerkt, dass der Mann betrunken war. Die hätten dem Betrunkenen locker weglaufen können, um der Situation aus dem Weg zugehen. Aber das liebe Testosteron macht auch denen einen Strich durch die Rechnung. Die nächste Frage die ich mir stelle, wieso haben sich die Jugendlichen erst am nächsten Tag bei der Polizei gestellt. Warum sind sie nicht nach dem Vorgang am Tatort geblieben. Wenn ich reinen Gewissens bin, brauche ich auch nicht abhauen. Bin mal gespannt, wie die Richter darüber entscheiden.

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Richtig, Staber, grds. geht juristisch die sog. "Schutzwehr vor Trutzwehr", will heißen, man muss sogar, solange es noch geht, flüchten, bzw. ausweichen, bevor man auf Besoffene oder erkennbar unter Drogeneinfluss stehende Personen einschlagen darf.
MIt der Verhältnismäßigkeit ist das allerdings eine kompliziertere Angelegenheit, Es ist durchaus zulässig auch zunächst unverhältnismäßig scheinende Bewaffnung gegen einen körperlich Überlegenen einzusetzen oder jemanden, der sich beispielsweise eines Messers bedient, mit einer Schusswaffe auszuschalten. Nicht immer ist die "nächsthöhere" Art der Verteidigungsbewaffnung auch gänzlich unverhältnismäßig. Das bedarf immer der sachlichen Einzelfallprüfung, mit der es unsere Richter allerdings schon häufiger nicht mehr so genau nehmen, wie sie sollten.

P.S. Auch ich habe mich sofort gewundert, dass man erstens in einer Bahn ein Kantholz einfach mal so findet und vor allem auch schon mitnimmt, obwohl angeblich der Angetrunkene den Jugendlichen erst nachgefolgt sein und sie dann angegriffen haben soll. Danach hätte man das Kantholz sozusagen präventiv mitgenommen. Alles etwas suspekt...
Zuletzt geändert von Excubitor am Sa 12. Okt 2013, 18:24, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Wo endet das Recht auf Verteidigung?

Beitragvon AlexRE » Fr 11. Okt 2013, 18:22

Caloderma hat geschrieben:Nun bin ich mal gespannt, was aus dieser Sache wird: Körperverletzung mit Todesfolge ? Hat das "Opfer" zu hart hingelangt ?

http://www.welt.de/vermischtes/article1 ... orben.html


Das Opfer bzw. "Opfer" darf auch gespannt sein. Wenn das zuständige Gericht diesen Begriff mit Anführungszeichen liest und die Notwehrlage ablehnt, wird es teuer:

§ 227 Körperverletzung mit Todesfolge

(1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.


http://dejure.org/gesetze/StGB/227.html

Wenn das Gesetz keine Höchststrafe benennt, beträgt diese 15 Jahre.
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