Letzte Woche war der deutsche Ökonom und Bestsellerautor Thilo Sarrazin («Deutschland schafft sich ab») für einen öffentlichen Vortrag zu Gast in Zürich. Eingeladen hatte der Zürcher Efficiency Club unter seinem rührigen Präsidenten Guido Persterer. Sarrazin sprach vor vollem Saal im Hotel «Widder» und legte dar, weshalb es seiner Ansicht nach den Euro in Europa gar nicht brauche. Als ehemaliges Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank und ehemaliger Finanzpolitiker bewegte sich Sarrazin in höchst vertrautem Gelände. Am Tag nach seinem Auftritt traf sich Sarrazin zu einem längeren Frühstück mit Weltwoche-Chefredaktor Roger Köppel, um die Thesen des Vortrags in einem Interview zu vertiefen. Es wurde eine so lehrreiche wie vergnügliche Begegnung.
Der ehemalige deutsche Bundesbanker und Bestseller-Autor Thilo Sarrazin über die inneren Widersprüche des Euro und die zwingenden Folgen der aktuellen Rettungspolitik.
Von Roger Köppel
Herr Sarrazin, wie krank ist die Euro-Zone?
Die Währung ist gesund. Aber: Die Länder innerhalb der Währungszone waren unterschiedlich erfolgreich. Einige kommen mit der gemeinsamen Währung klar, andere haben Kostenstrukturen, Lohnstrukturen und Defizite entwickelt, die ihnen schaden. In gewissem Umfang wäre dies normal. Nur sind die Unterschiede zu gross geworden, und die Probleme, die daraus entstehen, können nicht mehr mit den traditionellen Mitteln bekämpft werden wie Aufwertung oder Abwertung der Landeswährung.
Und wo liegt das grösste Problem?
Innerhalb der Währungsunion ist für die bereits angeschlagenen Staaten wie Frankreich, Italien, Spanien – Griechenland nenne ich schon gar nicht mehr – keine Perspektive zu erblicken, wie sie wirtschaftliches Wachstum erzielen wollen.
Londons Bürgermeister Boris Johnson schrieb in einem Kommentar, die Euro-Rettung sei für ihn das Gleiche, wie wenn ein Chirurg bei einem todkranken Krebspatienten den Krebs retten wolle, während der Patient als Folge der Behandlung sterbe. Ist der Euro die Krankheit, die man zu retten versucht?
In der Tat werden Griechenland stärkste Chemo-Pharmaka verabreicht, die den Kreislauf angreifen und jetzt die Leber ausser Kraft setzen. Was Griechenland zustösst, finde ich schrecklich. Jeder dritte Laden schliesst. Der private Verbrauch geht um 20 Prozent zurück. Das Bruttosozialprodukt sinkt um 16 Prozent. So etwas hat die Schweiz seit Napoleon nicht erlebt. Die Investitionen fallen um 37 Prozent.
Euro-Politiker und Notenbanker beruhigen und verweisen auf die grossen Fortschritte der Schuldenstaaten.
Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, ist wie ein kommandierender General im Höhepunkt der Schlacht. Er wird niemals sagen: «Der Feind wird im Mittelabschnitt der Front innerhalb der nächsten drei Tage durchbrechen, und mir fehlen die Reserven, um ihn am Durchbruch zu hindern.» Er wird sagen: «Wir sind auf gutem Weg, dort und dort haben wir den Feind zurückgeschlagen, und es läuft alles genau nach meinem Schlachtplan» – so wie sich Erwin Rommel nach El-Alamein würde geäussert haben.
Der Euro ist somit eine Fehlkonstruktion, die nicht funktionieren kann.
Nein, die Währung funktioniert, aber um den Preis dauerhafter Wachstums- und Wohlstandsverluste in den Südstaaten und um den Preis einer schleichenden Enteignung der Sparer im Norden mit steigendem Druck auf Deutschland, dem Süden zu helfen.
Wie beurteilen Sie den politischen Willen in Deutschland, diesen Euro künstlich am Leben zu erhalten?
Stellen wir uns vor, die griechische Regierung würde dabei erwischt, wie sie auf der Insel Lesbos hemmungslose Bunga-Bunga-Partys veranstaltet, indirekt auf Kosten des deutschen Steuerzahlers. So etwas könnte in Deutschland, würde die Bild-Zeitung täglich darüber berichten, die Neigung, Milliarden in den Süden zu verschieben, rasant verringern.
Muss sich die Schweiz darauf einstellen, dass die EU-Staaten immer mehr Druck auf die unabhängige Wohlstandsinsel in ihrer Mitte machen?
Nein. Die Steuersache ist etwas anderes. Das dominierende gesellschaftliche Prinzip in den meisten Staaten ist der Neid. Der Neid prägt auch das Steuersystem mit einem starken Umverteilungsfaktor. Der Fall um Ex-Postchef Zumwinkel, der als Steuersünder mit Auslandkonten vor laufenden Kameras abgeführt wurde, hat Steuergeschichte geschrieben. Sobald dieses Problem gelöst ist, wird die Schweiz in den seligen Zustand versinken, in dem sie immer schon lebte: Sie war gross genug, um wahrgenommen zu werden, aber zu klein, als dass man sie wirklich in Betracht gezogen hätte. Das bleibt die Chance der Schweiz in der Zukunft.
Wie haben Sie eigentlich Ihr Geld angelegt?
In Euro. Vor allem in deutschen Aktien, aber auch Unternehmensanleihen in Euro mit einer Laufzeit von fünf Jahren.
Thilo Sarrazin: Europa braucht den Euro nicht.
Wie uns politisches Wunschdenken in die Krise geführt hat.
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