Vor zwanzig Jahren war Mandy Kopp noch keine 16 Jahre alt. Ein brutaler Zuhälter schlug sie zusammen, vergewaltigte sie. Wochenlang hielt er sie eingesperrt in einer Wohnung in Leipzig, die ein diskreter Anlaufpunkt war für Männer, die Sex mit jungen Mädchen kaufen wollten. Als ein Sondereinsatzkommando der Polizei im Januar 1993 die Wohnung in der Merseburger Straße 115 stürmte, fand sie dort außer Mandy Kopp noch weitere sechs Mädchen. Die jüngste war 13, die älteste 18 Jahre alt. Vom „Kinderbordell Jasmin“ schrieben die Zeitungen.
Der Chef des Etablissements kam ein Jahr später vor Gericht mit einer milden Strafe davon. Wie er es vor den Mädchen einmal prophezeit hatte: Er habe gute Verbindungen in Leipzig, ihm könne nicht viel passieren, prahlte er da.
Zwei Jahrzehnte später lebt die alte Geschichte wieder auf – im Gerichtssaal. Seit Donnerstag müssen Mandy Kopp und eine zweite damalige Zwangsprostituierte aus dem „Jasmin“, Beatrix E., sich wegen des Vorwurfs der Verleumdung vor dem Dresdener Amtsgericht verantworten. Weil sie in einer Zeugenvernehmung bei der Staatsanwaltschaft zwei Freier von damals auf Fotos wiedererkannten – Juristen ausgerechnet. Die streiten indes alles ab. Und ihnen scheint die Staatsanwaltschaft mehr zu glauben als den Opfern. Einen Befangenheitsantrag der Verteidigung, das Verfahren außerhalb Sachsens in Berlin zu führen, wies der Richter zum Prozessauftakt ab. Eine Gefahr, dass zumindest unbewusst auf ehemalige sächsische Justizangehörige Rücksicht genommen werde, kann er nicht erkennen.
Das Gericht wird nun die Indizien zusammenführen und werten müssen. 36 Zeugen sind geladen, nach zwanzig Jahren führt der Prozess erstmals wieder Täter und Opfer, Peiniger und Gepeinigte zusammen. Man kann das Zittern von Mandy Kopp verstehen.
An diesem Nachmittag in der Wohnung irgendwo in Sachsen redet sie fast zwei Stunden lang darüber, warum sie 1992 als 15-Jährige von Zuhause abhaute. Wie sie in die Fänge des „Jasmin“-Zuhälters geriet. Was sie in der Leipziger Wohnung erdulden musste. Wie sie geprügelt und vergewaltigt wurde nach einem Fluchtversuch.
Investigativer Journalismus unerwünscht
In Dresden läuft parallel zu dem Prozess gegen Mandy Kopp noch ein zweites Verfahren in dieser Sache.
Zwei Journalisten aus Leipzig sind in Berufung gegangen, nachdem sie 2010 wegen übler Nachrede zu Geldstrafen verurteilt worden waren.
Thomas Datt und Arndt Ginzel hatten im Spiegel und bei Zeit online über den Freier-Verdacht gegen die von Mandy Kopp benannten Juristen berichtet und die Frage aufgeworfen, ob frühere Ermittlungen der Staatsanwaltschaft möglicherweise von oben ausgebremst wurden.
Berufsverbände und Gewerkschaften protestierten damals gegen das Urteil gegen die beiden Journalisten.
Im OSZE-Bericht 2010 zur Pressefreiheit wurde der Fall als Beispiel für staatliches Vorgehen gegen investigative Journalisten genannt.
Welche Zustände in Leipzig Anfang der 90er-Jahre herrschten, kann man sich heute kaum noch vorstellen. Es gab Schießereien auf offener Straße, Bandenkriege, Verfolgungsjagden. Windige Makler, Kriminelle, korrupte Beamte hatten die Stadt zur ihrer Beute gemacht, kauften Häusern, Firmen, Frauen.
Noch nach der „Befreiung“, wie Mandy Kopp die Polizeiaktion im „Jasmin“ vom Januar 1993 nennt, sei sie von den Kumpanen des inhaftierten Zuhälters verfolgt und bedroht worden, damit sie nicht auspackt. Das Jugendamt schaffte sie daraufhin bei Nacht und Nebel in ein katholisches Internat im Westerwald, gab ihr einen neuen Namen. Sie schloss dort die Schule ab, heiratete, gründete eine Familie.
Heute ist sie Künstlerin, sie malt, arbeitet mit Holz. Doch das alte Leben ist noch drin im neuen, sagt sie, es schlummert meist, aber manchmal wacht es auf und bricht sich Bahn. Dann kommen die Alpträume, das Zittern, die Depressionen. Die Angst.
Mandy Kopp redet und redet. So, wie sie es in der Therapie, in der Klinik getan hat, um ihre Traumata loszuwerden. Manchmal stockt sie, schaut dann stumm aus dem Fenster. Immer wieder fließen ihr Tränen übers Gesicht, die sie ungeduldig wegwischt mit der Hand.
Am Ende der zwei Stunden ist so auch die Schminke fortgewischt aus dem Gesicht, das plötzlich jung und verletzlich wirkt. So muss sie ausgesehen haben mit 16 Jahren, als man sie verkaufte an die alten Männer.
Dass sie und ihre Leidensgefährtin von damals jetzt noch einmal mit der Vergangenheit konfrontiert werden, hat mit 2007 aufgetauchten Akten des sächsischen Verfassungsschutzes zu tun. Sie beschrieben ein angebliches Netzwerk aus Kriminellen, Unternehmern, Juristen und Politikern im Freistaat. „Sachsen-Sumpf“ nannten es die Medien.
Weil auch das „Jasmin“ darin eine Rolle spielte, wurden alle Mädchen aus dem Bordell noch einmal befragt. Die Staatsanwaltschaft legte ihnen Fotos vor. Sind Freier von damals darunter, wollten die Ermittler wissen. Mandy Kopp tippte auf zwei Fotos: Den einen kenne sie als „Ingo“, den anderen als „Den Schwarzhaarigen“, sagte sie. Auch Beatrix E. zeigte auf die Fotos der beiden Männer.
Diese beiden waren Anfang der 90er-Jahre Richter in Leipzig, abgeordnet aus dem Westen. Sie machten Karriere im sächsischen Justizapparat. Heute ist der eine von ihnen Anwalt in München, der andere immer noch hoher Justizbeamter im Freistaat. Beide Männer bestreiten aber, vor zwanzig Jahren im „Jasmin“ gewesen zu sein. Einer von ihnen tritt deshalb in dem Verfahren als Nebenkläger auf.
Der Bordellbetreiber, der die Kunden im „Jasmin“ empfing, kann oder will sich nicht erinnern. Sein überraschend mildes Urteil erhielt er 1994 übrigens von dem Richter, den Mandy Kopp als „Ingo“ wiederzuerkennen glaubt.
Die Angst nicht zeigen
Den Chef vom „Jasmin“, der sie geprügelt und vergewaltigt hat, wird Mandy Kopp auch wiedersehen vor Gericht, er kommt als Zeuge. Hat sie Angst vor der Begegnung? Sie zuckt mit den Achseln. „Ich weiß nur, dass ich ihm meine Angst nicht zeigen werde“, sagt sie. „Ich will ihm zeigen, dass er mich nicht kaputtgemacht hat.“
Es ist still geworden in dem Haus. Mandy Kopp wohnt hier nur vorübergehend, eigentlich lebt sie mit ihrer Familie in Westdeutschland. Der Verein Karo e.V., der sich um Opfer von Zwangsprostitution und sexueller Ausbeutung kümmert, habe ihr die Wohnung zur Verfügung gestellt, erzählt sie. Die finanzielle Belastung durch den Prozess ist so groß, dass sie sich die ständigen Anreisen zu den Prozessterminen nicht leisten kann.
Bereut sie es manchmal, damals bei der Staatsanwaltschaft auf die beiden Fotos getippt zu haben? „Nein“, sagt sie nur. Im vergangenen März habe ihr das Gericht einen Deal angeboten: Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldbuße, wenn sie eine Teilschuld einräume. „Das kann ich aber nicht“, sagt sie. „Ich habe die Wahrheit gesagt. Und wenn ich dafür verurteilt werde, dann ist es eben so.“
http://www.fr-online.de/leute/-kinderbo ... 20120.html
Für mich persönlich bleiben keine Fragen mehr offen.
Mich erinnert dieser Fall ein ganz klein wenig an den Fall Dutroux.