An DIESEM Artikel sollte man nicht locker hinweg lesen. Da sieht man m. E. nicht nur das Dilemma bei einer Aussage gegen Aussage-Konstellation, sondern (vor allem!) auch die Problematik, die Freisprüche wegen Mangels an Beweisen nach sich ziehen:
Anfang des 19. Jahrhunderts nahm sich der französische Schriftsteller Honore de Balzac in seinen „Ergötzlichen Geschichten“ des ewigen Problems an und stellte fest, dass man nicht einfädeln könne, wenn eine Nadel nicht stillhält. Der Franzose erkannte zudem, dass man mit hoch geschobenem Rock immer noch schneller laufen könne, als mit heruntergelassener Hose. Eine Vergewaltigung sei also schlichtweg nicht möglich, so wollte er uns mit seinen zum Schmunzeln anregenden und doch zynischen Beispielen wohl sagen, wenn die jeweils betroffene Frau nicht ihren Teil dazu beiträgt.
Ein Jahrhundert nach Balzac ließ sich selbst der anerkannte US-amerikanische Sexologe Alfred Kinsey zu einer Aussage hinreißen, mit der solche Denkweisen unterstützt und das grundsätzliche Misstrauen gegenüber vergewaltigten Frauen gerechtfertigt wurde: „Der einzige Unterschied zwischen einer Vergewaltigung und einem schönen Erlebnis liegt darin“, so Kinsey, „ob die Eltern noch wach sind, wenn die Tochter nach Hause kommt.“
Und dieser klammheimliche Verdacht und Mythos von weiblicher Raffinesse und Boshaftigkeit wird weiterhin gepflegt.
Wir befinden uns im 21. Jahrhundert und dieser Mythos wird weiterhin gepflegt, wie wir immer wieder lesen können. Absolut nichts dazu gelernt, würde ich sagen. Lernresistent über Jahrhunderte hinweg.
Rund die Hälfte aller von ihm bearbeiteten Vergewaltigungen seien vorgetäuscht, ließ ein angeblich erfahrener Ermittler erst vor wenigen Wochen wissen und seine Aussage fand prompt mediales Interesse.
Menschheitsgeschichte und Literatur sind reich an Beispielen des Misstrauens gegenüber vergewaltigten Frauen. Und auch heute ist der in Betracht zu ziehende, klammheimlich vermutete oder offen geäußerte Verdacht der Vortäuschung noch immer fester Bestandteil und nicht selten wesentliches Element bei der Betrachtung und Aufarbeitung entsprechender Vorkommnisse sowie bei einschlägigen Ermittlungs- und Strafverfahren.
Diesem grundsätzlichen, allgemeinen wie professionellen Misstrauen gegenüber der vergewaltigten Frau stehen heute allerdings empirische Untersuchungen gegenüber, mit denen sehr geringe Vortäuschungsquoten von nicht mehr als 2 – 5 % nachgewiesen werden (Michael C. Baurmann, Wanke, Kröhn).
Quoten also, die nicht höher sind als bei angezeigten Pkw-Diebstählen oder anderen Schadensmeldungen auch. Quoten, die das grundsätzliche, allgegenwärtige und ausgeprägte Misstrauen gegenüber Vergewaltigungsopfern nicht (mehr) rechtfertigen und nicht (mehr) erlauben.
Was dieser "erfahrener Ermittler" damit in den Köpfen von vergewaltigten Frauen ausgelöst haben dürfte, kann man nur erahnen. Kein Wunder, dass immer mehr Frauen Angst haben, dass man ihnen sowieso nicht glauben wird.
Und dazu gehört eben auch und vor allem die Klärung der Frage, vergewaltigt oder vorgetäuscht.
Dieses Ergebnis ist nicht selten von existenzieller Bedeutung. So ging es beim Schweizer Wetterexperten Kachelmann um mehrere Jahre Knast oder alternativ um die Fortsetzung seines renommierten Unternehmens und seiner (Fernseh-)Karriere.
Und dem ehemaligen Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), Dominique Strauss-Kahn drohte eine Höchststrafe von über 70 Jahren Gefängnis wegen Versuchter Vergewaltigung, Freiheitsberaubung und eines „kriminellen, sexuellen Aktes“ (Oralverkehr). Alternativ dazu winkte ihm der Einzug in den Elyssee-Palast als Präsident der Grande Nation.
Und mögen die Folgen eines Ermittlungsergebnisses bei der Auseinandersetzung zwischen Otto Normalbürger und Lieschen Müller auch nicht ganz so gravierend erscheinen – von größter und nicht selten existenzieller Bedeutung sind sie für die Betroffenen allemal.
Jede vergewaltigte und damit zutiefst verletzte, erniedrigte und gedemütigte Frau wird erschüttert und nicht selten in ihrer Identität vollkommen zerstört sein, wenn ihr nicht geglaubt wird und wenn ihr Peiniger am Ende eines für das Opfer oft qualvollen Verfahrens freigesprochen wird, obwohl er Täter ist.
Und ein zu Unrecht verdächtiger und beschuldigter, weiblicher Raffinesse, Rachsucht, einer üblen Intrige oder anderen Motiven zum Opfer gefallener und möglicherweise unschuldig inhaftierter „Vergewaltiger“, der keiner ist, hat nicht weniger unter einer solchen Falschbeurteilung zu leiden. Einer solchen, geschickt gestrickten Falschbezichtigung hilflos ausgeliefert zu sein, das ist die Horrorvorstellung für jeden Mann schlechthin.
Polizei und Justiz stehen bei entsprechenden Ermittlungs- und Strafverfahren also ganz besonders in der Pflicht, zu richtigen, sach- und opfergerechten Ergebnissen zu kommen. Das erscheint häufig schon deshalb schwierig, weil den Tathandlungen in aller Regel keine Zeugen beiwohnen und nicht selten Aussage gegen Aussage steht.
Daran wird sich m. E. auch die nächsten Jahrhunderte nichts ändern. Die Gesetzeslage ist klar definiert (Freispruch, wenn eine Tat nicht nachgewiesen werden kann), dass dabei "einer" auf der Strecke bleibt, ist nur die Folge der Rechtslage.
Allein die psychischen Folgen, die „inneren Verletzungen“ einer vergewaltigten Frau sind zumeist so gravierend und dazu so deliktstypisch, dass sie eine zutreffende Beurteilung des jeweiligen Geschehens ermöglichen und Antwort auf die Frage, vergewaltigt oder vorgetäuscht, geben.
Es erscheint zudem kaum vorstellbar, dass eine Frau einen Mann zu Unrecht eines Sexualverbrechens bezichtigen und diesen Vorwurf über die kriminalpolizeilichen Ermittlungen und das Gerichtsverfahren hinweg aufrecht erhalten kann, ohne dass das von professioneller Seite aus nicht zu erkennen wäre.
Wichtig in diesem Zusammenhang erscheint auch die Erkenntnis, dass die wenigen Frauen, die eine Vergewaltigung vortäuschen, häufig nicht nur Täterinnen sondern auch Opfer sind – Opfer eines Ereignisses oder Geschehens, das sie veranlasst oder dazu bringt, eine solche Tat vorzutäuschen. Solche Situationen und Motive gibt es vorwiegend bei sehr jungen Frauen.
Genau DAS hab ich immer wieder betont und geschrieben! Gutachter sind heutzutage dermaßen gut geschult (Ausnahmen bestätigen die Regel), dass es zwar durchaus möglich ist, diese erst einmal täuschen zu können... aber... ein Lügenkonstrukt niemals Stand halten würde, wenn es ins Detail geht. Ich behaupte mal ganz forsch: Wenn ein Gutachter nicht gerade an Alzheimer erkrankt ist, wird er aufgetischte Lügen entdecken; früher oder später.
Die Meinung, dass die Zahl der Verurteilten, die unschuldig im Knast sitzen, immens hoch ist, halte ich schlichtweg für frei erfunden. Es gibt natürlich Einzelfälle und jeder Fall hätte nicht passieren dürfen... aber in der Gesamtheit gesehen, liegt diese Zahl für mich im Promille-Bereich. Keine Frage, dass da die Justiz vollends versagt hat.
Stellen wir uns aber weiterhin vor, was geschehen würde, wenn ein unauffälliger aber aufgebrachter Endvierziger bei KHK Maier den Diebstahl seines Lieblingsspielzeugs, eines Daimler-Benz der S-Klasse oder eines Porsche Cayenne, zur Anzeige bringen würde: KHK Maier würde sicher viel Verständnis für den herben Verlust zeigen, beruhigend auf den Geschädigten einwirken, die Anzeige aufnehmen oder von Karl, seinem Kollegen, aufnehmen lassen.
Er würde die Fahrzeugdaten unverzüglich in das Fahndungssystem eingegeben, die erforderlichen Ermittlungen einleiten und die Suche nach dem Fahrzeug würde anlaufen… Weder KHK Maier noch sein Kollege Karl kämen während der Entgegennahme der Anzeige auf die Idee, dem Anzeigeerstatter zu misstrauen, ihm gegenüber Misstrauen zu zeigen oder gar von einem versuchten Versicherungsbetrug zu sprechen.
Nicht nur dieses professionelle Misstrauen, auch anderes Fehlverhalten und andere Fehlbeurteilungen jeglicher Art sowie unvollständige oder zweifelhafte Ermittlungsergebnisse und daraus resultierende Verfahrenseinstellungen oder Freisprüche mangels an Beweisen hinterlassen bei Vergewaltigungsdelikten in steter Regelmäßigkeit einen üblen Nachgeschmack, unter dem die Opfer zu leiden haben. Sie bewirken zudem nicht zu unterschätzende Vertrauensverluste für Polizei und Justiz und sind neben anderen Gründen wie
* dem Bekanntheitsgrad Täter-Opfer,
* dem Tatgeschehen (Bereitschaft, Mitwirken des Opfers)
* Scham und vermeintliche Schande,
sehr wesentlich verantwortlich dafür, dass schon heute nicht mehr als 10 – 15 % der Vergewaltigungsdelikte zur Anzeige gebracht werden und immer weniger angezeigt werden.
Da denke ich doch sofort wieder an eine frühere Bekannte (Krankenschwester), die ganz offen darüber sprach, wie bei (vermuteten) Herzinfarkt-Patienten zwischen Mann und Frau unterschieden wird. Der Mann kommt sofort in den Schockraum, wird bestens versorgt.
Eine Frau kann bestenfalls auf ein normales EKG hoffen (welches oftmals nicht für eine genaue Herzinfarkt-Diagnose geeignet ist) und mehr als einmal landen Frauen erst einmal in der Gynäkologie als in der Kardiologie. Wenn man dann endlich den Infarkt doch noch diagnostiziert hat, kann es bereits zu spät sein.
Wie gesagt: Aussage einer Krankenschwester mit über 30 Jahren beruflicher Erfahrung.
Fast möchte ich dafür wetten, dass eine Frau, die den Diebstahl ihres Daimler-Benz der S-Klasse anzeigt, erst einmal von Beamten genau taxiert wird. Was da an Kopfkino abläuft, könnte ungefähr so aussehen:
"Woher hat die denn so viel Geld? Hat wohl einen alten reichen Knacker geheiratet, um an Kohle zu kommen. Die ist ja noch viel jünger als ich und ich muss für so wenig Gehalt Tag für Tag arbeiten. Eine S-Klasse würde mir viel besser stehen. Eine Frau braucht doch kein Luxus-Auto".
Unklare, fragwürdige Ergebnisse signalisieren potenziellen Vergewaltigungsopfern zum einen, dass die Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden nicht in der Lage sind, entsprechende Sachverhalte zu klären und anschließend Recht zu sprechen und zum zweiten, dass sie den Belangen eines Opfers nicht gerecht werden und dass Vergewaltigungsopfer von ihnen keine Hilfe zu erwarten haben.
Zudem werden mit unklaren Ermittlungsergebnissen und Verfahrenseinstellungen zumeist auch noch wenig opferfreundliche, wenn nicht gar ausgesprochen opferfeindliche Verfahrensweisen transportiert und suggeriert.
Die Folge: Wenn sich bislang von zehn vergewaltigten Frauen möglicherweise nur eine dazu entschließt, sich den Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden anzuvertrauen – was geradezu deprimierend erscheint und zwingenden Handlungsbedarf erkennen lässt – so wird die Quote dadurch noch weiter nach unten und damit in die Nähe eines vollkommenen Vertrauensverlustes gedrückt.
Hier irrt sich der Autor. Der vollkommene Vertrauensverlust ist m. E. schon eingetreten. Die nächsten Jahre werden zeigen, dass die Anzeigen bei Vergewaltigungen noch weiter zurückgehen werden. Bis sie einen solchen Tiefstand erreicht haben, dass selbst den Allerdümmsten auffallen dürfte, dass da was ganz gehörig im Argen liegt...
Der Gerichtssaal gerät in Gefahr, zum Theatersaal zu werden, die tägliche Inszenierung zum Spektakel. Vieles wirkt auf die Gerichte und auf die Beteiligten ein. Vieles rückt in den Vordergrund, was nicht in den Vordergrund gehört. Strategien, Rechthabereien, Selbstdarstellungen, Profilierungssucht… Es wird verzögert, vertagt, taktiert Es geht, so scheint es, vor allem darum, sich gut zu verkaufen, erfolgreich zu sein, das Gesicht zu wahren, den Ruf nicht zu verlieren, eine „gute Presse“ zu haben, zu glänzen, zu siegen, zu triumphieren…
Die Gerichte, so scheint es, bemühen sich verzweifelt und das Eigentliche und Wesentliche – um die Wahrheitsfindung und um eine Antwort auf die Frage: Vergewaltigt oder vorgetäuscht?
Eine eindeutige Antwort fällt bei solchen Rahmenbedingungen mit immer wieder neu inszenierten, bewusst oder unbewusst herbeigeführten Irritationen und „Kämpfen auf Nebenkriegsschauplätzen“ trotz klarer und umfassender, polizeilicher Ermittlungsergebnisse aber sehr schwer. Manchmal –so im Fall Kachelmann- ist sie auch schlichtweg nicht möglich.
http://www.kriminalpolizei.de/articles, ... 250ff29c18Nicht zu vergessen: Wer es sich leisten kann, bedient sich der (m. E. äußerst effektiven) Litigation-PR !
Ein Teufelskreis!Kachelmann und Strauss-Kahn, ob schuldig oder unschuldig, ob Täter oder Opfer, sie haben dem potenziellen, zukünftigen Vergewaltigungsopfer einen denkbar schlechten Dienst erwiesen. Den Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden auch.
Ich glaube, das sehen BEIDE völlig anders.
Nur eines haben sie in meinen Augen gemeinsam: Macht und Geld.
Mahlzeit!