Das Beschneidungsurteil und seine weitreichenden Folgen

Hier können aktuelle Themen getrennt voneinander auf gesonderten threads erörtert werden.

Re: "Ethik"-Rat?

Beitragvon maxikatze » Fr 24. Aug 2012, 11:57

Excubitor hat geschrieben:Die Entscheidung des Ethikrates belegt, dass in Deutschland die Verletzung der eigenen Werteordnung als grundsätzliche Vorgehensweise bereits anerkannt zu sein scheint.

Es kann für den gesamten Problemkreis nur eine akzeptable Lösung geben, dass nämlich die Betroffenen selbst, so sie ein Alter erreicht haben, dass ihnen dies vom Reifegrad her ermöglicht, die Entscheidug darüber treffen können, ob sie beschnitten werden wollen oder nicht.
Egal, ob die Eltern entscheiden dürfen oder nicht, es ist und bleibt die Entscheidung über den Kopf der wehrlosen Minderjährigen hinweg.
Auch die Verwendung von Schmerzmitteln ändert nichts an dem Vorgehen ohne oder gegen den Willen der Betroffenen und den damit verbundenen starken Eingriff in deren körperliche Unversehrtheit.
Was der sogenannte Ethikrat wieder einmal missachtet, ist die rechtlich herausragende Stellung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit. Wie Rechtsgelehrte schon meines Erachtens richtig herausgestellt haben kann es keine Sonderrechte geben, denn die müsste man nach den Vorschlägen des Ethikrates einführen, um überhaupt noch ein wenig auf dem Boden des Grundgesetzes zu agieren.

Nach dieser Entscheidung verdient der Ethikrat diese hochtrabende Bezeichnung keine Sekunde länger. sondern hat sich selbst für derartige Entscheidungen disqualifiziert, in dem man wieder einmal (wodurch sich bislang Politiker hervorgetan haben) für religiöse Verbände Sonderrechte einzuführen versucht und diesmal damit sogar die Werteordnung des eigenen Grundgesetzes untergräbt.

Als Bürger kann ich die Rechtsordnung dieses Landes , wenn sich die Entwicklung in dieser Weise fortsetzt nicht mehr anerkennen. Und ich versichere hier, ich werde nicht der einzige sein.

Dieses Forum enthält übrigens viele weitere Belege warum die Rechtsordnung eigentlich schon länger nicht mehr anerkennenswürdig ist.


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Re: Das Beschneidungsurteil und seine weitreichenden Folgen

Beitragvon AlexRE » Sa 25. Aug 2012, 22:01

So ganz einig pro religiöser Beschneidung von Kindern scheinen sich die Politiker der etablierten Parteien doch nicht zu sein:

Beschneidung missachtet Kinderrechte

Presse Bild

Marlene Rupprecht zur Diskussion um Landgerichtsurteil
Zur Diskussion um das Urteil des Kölner Landgerichts, wonach nicht medizinisch begründete Beschneidung von Jungen als Körperverletzung zu werten ist, erklärt Marlene Rupprecht, Kinderbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion:
Ich begrüße das Urteil der Kölner Richter ausdrücklich, weil es eindeutig darlegt, dass die Beschneidung von Jungen auf Verlangen der Eltern weit über die Ausübung des Elternrechts hinausgeht und auch durch das Grundrecht auf Religionsfreiheit nicht gedeckt ist. Es verstößt vielmehr gegen das grundgesetzlich garantierte Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit.
Eine Beschneidung, die ohne die Einwilligung eines Kindes und ohne medizinische Notwendigkeit vorgenommen wird, ist aber nicht nur ein Verstoß gegen ein verfassungsmäßiges Schutzrecht. Es missachtet fundamentale Zielsetzungen der UN-Kinderrechtskonvention wie das Recht auf Gesundheit und den Schutz vor Gewaltanwendung.
Eine generelle Straffreiheit für Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit Schutzbefohlener aus religiösen Gründen wäre geradezu die Aufforderung, auch andere Methoden körperlicher Einflussnahme und Züchtigung mit religiösen Begründungen zu rechtfertigen. Dem stehen die UN-Kinderrechte eindeutig entgegen.


http://www.marlene-rupprecht.de/index.php?nr=45654
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Re: "Ethik"-Rat?

Beitragvon Excubitor » Mo 27. Aug 2012, 10:36

AlexRE hat geschrieben:
Excubitor hat geschrieben:Die Entscheidung des Ethikrates belegt, dass in Deutschland die Verletzung der eigenen Werteordnung als grundsätzliche Vorgehensweise bereits anerkannt zu sein scheint.


Dieser komische Ethikrat ist schon bei anderen Themen zu maximal unethischen Mehrheitsmeinungen gelangt:

AlexRE hat geschrieben:Der deutsche Ethikrat mal wieder:


Ethikrat will Babyklappen abschaffen

Der Deutsche Ethikrat hat sich für eine Abschaffung der Babyklappen und der bisherigen Angebote zur anonymen Geburt ausgesprochen. Solche Angebote zur anonymen Kindsabgabe seien besonders deshalb ethisch und rechtlich problematisch, weil sie das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft und auf Beziehung zu seinen Eltern verletzten, so der Ethikrat.


Quelle: tagesschau.de

Das sind genau die "Experten", die auch für den Unfug mit dem strafrechtlichen Verbot der Fortsetzung einer bereits eingeleiteten künstlichen Befruchtung im Falle des Todes des Vaters verantwortlich sind.



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Re: Das Beschneidungsurteil und seine weitreichenden Folgen

Beitragvon Ali » Do 30. Aug 2012, 07:59

28. August 2012 - 00:22
Von: Alan Posener
Artikel 6 GG darf nicht beschnitten werden

In der Auseinandersetzung um die Beschneidung von muslimischen und jüdischen Jungen hat der Bundestag mit überwältigender Mehrheit sich selbst aufgefordert, eine entsprechende gesetzliche Grundlage zu erlassen. Dabei existiert sie schon. Und zwar in Gestalt des Artikels Sechs im Grundgesetz.

Der Jurist Reinhard Merkel hat in der „Süddeutschen“ vom Samstag erklärt: „Dem schärferen Blick wird auf Dauer nicht verborgen bleiben, was die angekündigte Regelung … ist: ein jüdisch-muslimisches Sonderrecht. Das bezeichnet einen Sündenfall des Rechtsstaats.“ Starke Worte. Und blanker Unsinn. Sicher braucht man nicht einmal einen „schärferen“ Blick, um zu erkennen, dass es sich hier um ein Sonderrecht für Muslime und Juden handelt (nicht um ein „muslimisches“ oder „jüdisches“ Recht). Man muss aber völlig blind sein, um darin einen „Sündenfall“ des Rechtsstaates erkennen zu wollen. Gibt es doch allenthalben Sonderrechte für die diversen christlichen Konfessionen – zum Beispiel das Recht, in den von ihnen betriebenen karitativen Einrichtungen das sonst in der Republik geltende Arbeitsrecht nicht anzuwenden, das Recht, sich den Zehnten vom Staat eintreiben zu lassen; das Recht, in eigener Verantwortung Unterricht in den öffentlichen Schulen zu erteilen; das Recht, in Rundfunkräten über das Programm der staatlich betriebenen Medien mitzubestimmen und so weiter und so fort. Mag sein, dass die entsprechenden Gesetze allgemein formuliert sind; faktisch aber gelten sie nur für Religionsgemeinschaften, die sich wie die größeren christlichen Kirchen als Körperschaften konstituieren. Auch das geplante Gesetz über die Beschneidung wird allgemein formuliert sein und dennoch fast ausschließlich von Juden und Muslimen in Anspruch genommen werden.

Der Hinweis auf die rechtlich verbrieften Privilegien der Kirchen entkräftet auch den Einwand Necla Keleks und anderer „Menschrechtsfundamentalisten“, die im GG verbrieften Freiheitsrechte seien immer „Individualrechte“; es gebe keine Kollektivrechte, die gegen diese Individualrechte ausgespielt werden könnten; notfalls müsse der Staat durch „zügige und forcierte Integration“ diese Individualrechte gegen die religiösen Gemeinschaften und die religiös geprägten Familien durchsetzen. Womit Necla Kelek (die ich persönlich mag und als Autorin schätze) eben die Frage des Artikels 6 GG berührt.

Hier ist der Wortlaut des Artikels:



(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Entscheidend für unsere Diskussion ist Absatz 2. Die Pflege und Erziehung der Kinder, heißt es, ist „das natürliche Recht der Eltern“. Das schließt die religiöse, weltanschauliche und moralische Erziehung ein. Katholiken erziehen ihre Kinder zu Katholiken, Protestanten zu Protestanten, Muslime zu Muslimen, Juden zu Juden, Zeugen Jehovas zu Zeugen Jehovas, Scientologen zu Scientologen, Atheisten zu Atheisten. Ausnahmen bestätigen die Regel. Ob die Kinder auch als Erwachsene Christen, Muslime usw. bleiben, ist eine andere Frage; außer Frage dürfte aber sein, dass diese frühkindliche Indoktrination tiefe Spuren hinterlässt. Diese Indoktrination, das habe ich in meinem allerersten Kommentar zum Thema Beschneidung in der „Welt“ festgestellt, konstituiert als „Beschneidung der Herzen“ (wie sie Jesus forderte) einen viel grundlegenderen Eingriff in die Persönlichkeit – und also in das Persönlichkeitsrecht – der Kinder als die äußerlich bleibende, wenn auch sicher nicht folgenlose Operation am Penis. Trotzdem wird die religiöse Erziehung nicht nur geduldet, sondern vom Grundgesetz implizit „unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“ gestellt, was erstens sonst für kein Grundrecht gilt und zweitens, Herr Merkel und liebe Necla Kelek, faktisch auf ein Sonderrecht für zwei Kollektive hinausläuft: Für die Familie erstens; und zweitens für die Religionsgemeinschaften, die ja die Sitten, Bräuche, Riten, Feiern und Dogmen bestimmen und tradieren, die über die Eltern den Kindern zur zweiten Natur werden sollen.

Auch die Religionsfreiheit (Artikel Vier GG) ist übrigens kein reines „Individualrecht“ im Sinne Necla Keleks, weil die freie Religionswahl und die in Absatz 2 garantierte „freie Religionsausübung“ voraussetzen, dass es Kirchen, Moscheen, Synagogen, Priester, Imame und Rabbiner (und ja, auch Schächter und Mohels) gibt. Das heißt, die Religionsfreiheit ist auch eine Kollektivfreiheit der Religionsgemeinschaften, so dass etwa die katholische Kirche das Recht behält, homosexuelle Praktiken, Sex vor der Ehe, Verhütung, Ehescheidung usw. als Sünde zu bezeichnen, auch wenn diese Dinge vom Gesetzgeber ausdrücklich erlaubt werden; die Zeugen Jehovas dürfen ihren Kindern beibringen, dass die Evolution eine Irrlehre ist, auch wenn sie Teil des Lehrplans an staatlichen Schulen ist; Juden und Muslime dürfen Tiere auf eine Weise schlachten, die den sonst gültigen Vorschriften fürs Fleischgewerbe nicht entspricht usw. usf.

Zurück aber zum Artikel sechs. Warum gibt es ihn? Noch in der Weimarer Republik wurde der entsprechende Verfassungsartikel (119) damit begründet, die Familie sei „die Keimzelle des Staates“ und diene „der Erhaltung und Vermehrung der Nation“. Diese Begründung fehlt in der Verfassung der Bundesrepublik. Zu Recht. Denn die Erfahrung mit der Diktatur zeigte, dass die Familie auch – ja vor allem – wichtig ist als Keimzelle des Widerstands gegen den Staat. Darum ist jede totalitäre Ordnung bemüht, die Familienbande aufzulösen, Kinder als Spitzel gegen ihre Eltern zu gewinnen, Eheleute und Liebespaare dazu zu bringen, sich gegenseitig zu denunzieren und zu desavouieren. Man denke an die beklemmende Szene „Der Spitzel“ in Brechts „Furcht und Elend des Dritten Reiches“, an Costa Gavras’ film „Das Geständnis“, basierend auf dem Buch von Artur London, an Winston Smith und Julia in Orwells „1984“ usw. usf. Zu den widerlichsten Episoden der Kampagne gegen Martin Luther King gehört das Abhören seines Hotelzimmers durch das FBI und das Zuschicken der Bänder, auf denen er mit einer anderen Frau zu hören ist, an seine Ehefrau Coretta. Man denke aber auch daran, wie die Familie etwa für die Geschwister Scholl einen Raum des Schutzes und des Vertrauens bildete; oder an die Familie Gauck in Rostock.

Natürlich ist der demokratische Staat nicht mit einem totalitären Staat gleichzusetzen, obwohl er sich zuweilen, wie der Fall King zeigt, ähnlicher Methoden bedient. Er ist aber gerade deshalb nicht mit einem totalitären Staat zu vergleichen, weil er seinen Einflussbereich beschränkt, weil er anerkennt, dass die Familie vor dem Staat steht, wie die Grundrechte, und dass der Staat die Familie schützen muss. Selbst wenn es um so etwas Fundamentales wie Mord oder so etwas Banales wie ein Verkehrsdelikt geht, können Eheleute vom demokratischen Staat nicht gezwungen werden, gegeneinander auszusagen: der Schutz der Familie ist wichtiger als die Ermittlung der Wahrheit oder die Herstellung des Rechtsfriedens.

Mir persönlich behagt vieles nicht, was in religiösen - und nichtreligiösen – Familien den Kindern vermittelt wird; aber noch unbehaglicher ist die Vorstellung, dass sich der Staat im Zuge der „forcierten Integration“ in die frühkindliche Erziehung einmischt und das richtige Denken durchsetzt.

Eltern machen im Zuge dieser Erziehung und der sonstigen Erziehung unzählige Dinge falsch. Um sich eine Vorstellung davon zu machen, reicht es, einmal die Erziehungsratgeber-Ecke Ihrer Buchhandlung aufzusuchen. Wenn sie aber nicht das Kindeswohl grob verletzen, soll sich der Staat nicht einmischen. Es steht nun außer Frage, dass die Zirkumzision zwar eine Körperverletzung ist, wie jeder körperliche Eingriff. Die Frage ist jedoch, ob sie – als Teil der religiösen Erziehung im weitesten Sinn, der Einführung in die religiöse Gemeinde und ihre Regeln, die den Eltern obliegt – dem Kindeswohl derart schadet, dass ein Eingriff des Staates notwendig ist. Dafür gibt es nur sehr wenige Hinweise. Es berichten prozentual weniger jüdische und muslimische Männer über die Traumatisierung durch die Zirkumzision, als katholische Männer über die Traumatisierung aufgrund von Onanieverboten und dergleichen durch katholische Priester, oder katholische Frauen über die Traumatisierung aufgrund der körperfeindlichen Erziehung durch katholische Nonnen (ich rede ausdrücklich nicht vom Kindesmissbrauch). Wahrscheinlich haben mehr Kinder Schäden durch grausige Märchen, brutale Videospiele, übertriebenes Fernsehen, die Pornosammlung ihrer Väter und das Gezeter ihrer Mütter davon getragen als durch die Zirkumzision. Da die Angemessenheit ein wichtiger Grundsatz des Rechtsstaates ist, muss man fragen, ob ein staatliches Eingriffsrecht in die Elternrechte aller muslimischen und jüdischen Familien, um Eltern davon abzuhalten, ihre männlichen Kinder beschneiden zu lassen – das wäre in der Tat eine „Sonderbehandlung“ und ein „Sündenfall des Rechtsstaats“ – gerechtfertigt werden kann, um der möglichen Traumatisierung einiger weniger Kinder zuvorzukommen.

Die Antwort ist: Nein.

Der Weg zur Hölle ist bekanntlich mit guten Absichten gepflastert. Der Weg in einen Staat, der „forciert“ alle Bürger seinen Vorstellungen – den Vorstellungen der Mehrheit – anpasst, beginnt mit dem Verbot eines religiösen Brauchs, der in der Tat irrational, archaisch, blutig und darum schwer zu verteidigen ist, und mit der damit verbundenen Aushöhlung des Erziehungs- und Sorgerechts der Eltern. Diesen Schritt sollte der Rechtsstaat auch zu seinem eigenen Schutz nicht tun. Der Artikel sechs sollte nicht beschnitten werden.

http://starke-meinungen.de/blog/2012/08 ... en-werden/
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Re: Das Beschneidungsurteil und seine weitreichenden Folgen

Beitragvon AlexRE » Do 30. Aug 2012, 09:42

Ali hat geschrieben:
28. August 2012 - 00:22
Von: Alan Posener
Artikel 6 GG darf nicht beschnitten werden

In der Auseinandersetzung um die Beschneidung von muslimischen und jüdischen Jungen hat der Bundestag mit überwältigender Mehrheit sich selbst aufgefordert, eine entsprechende gesetzliche Grundlage zu erlassen. Dabei existiert sie schon. Und zwar in Gestalt des Artikels Sechs im Grundgesetz.

Der Jurist Reinhard Merkel hat in der „Süddeutschen“ vom Samstag erklärt: „Dem schärferen Blick wird auf Dauer nicht verborgen bleiben, was die angekündigte Regelung … ist: ein jüdisch-muslimisches Sonderrecht. Das bezeichnet einen Sündenfall des Rechtsstaats.“ Starke Worte. Und blanker Unsinn. (...)


Hast Du eigentlich eine besondere Suchmaschine installiert, mit der man im Netz Dummschwätzer aufstöbern kann?

Das ist jedenfalls ein Prachtexemplar:

Väterlicherseits aus einer liberalen deutsch-jüdischen, mütterlicherseits aus einer englisch-schottischen Familie stammend, wuchs er in England, Malaysia und Deutschland auf. Posener studierte Germanistik und Anglistik an der FU Berlin und der Ruhr-Universität Bochum. Dabei war er als Kader des Kommunistischen Studentenverbands und der maoistischen KPD-AO aktiv. Nach dem Staatsexamen arbeitete Posener als Studienrat am Kant-Gymnasium (Berlin) und an der Martin-Buber-Gesamtschule in Berlin-Spandau. Er verließ den Schuldienst, wie er sagt, aus „Langeweile“.


http://de.wikipedia.org/wiki/Alan_Posener

Ein Lehrer, dem es in der Schule zu langweilig ist und der lieber dem Juristen R. Merkel, dem LG Köln und (was er vermutlich nicht einmal bemerkt) insbesondere dem Bundesverfassungsgericht den Grundrechtekatalog erklärt. Den Konflikt um die religiöse Beschneidung kann nämlich nur das BVerfG handhaben, die angekündigte einfachgesetzliche Regelung ist insofern typischer Parteibuchkarrieristen - Unfug und hohler Aktionismus.

Noch einmal zum mitmeißeln: Das LG Köln hatte eine verfassungsrechtliche Güterabwägung vorgenommen, weil der Gesetzgeber mit unbestimmten Rechtsbegriffen in einfachen Gesetzen ausnahmslos jedem Richter und nicht nur Verfassungsrichtern diese Aufgabe zuweist. Die müssen nämlich im Sinne des Grundgesetzes ausgelegt werden. Wenn - wie im Falle des § 228 StGB - der Begriff "gute Sitten" im Gesetz steht, darf der Richter nicht auf den Sittenkodex seiner katholischen Studentenverbindung oder Freimaurerloge zurückgreifen, sondern er muss den Einzelfall im Sinne der grundgesetzlichen Werteordnung lösen.

Soweit also das LG Köln diese Aufgabe rechtsfehlerfrei gelöst hat, würde das BVerfG das angekündigte neue Gesetz direkt wieder in die Tonne drücken.

Ich persönlich sehe auch keinen Rechtsfehler. Insbesondere bei Herrn Poseners Verweis auf das angebliche "kollektive Recht" christlicher Religionsgemeinschaften, Kindern durch Indoktrination zu schaden, kommt die Lehrer - Marotte durch, die Neigung zur Schulmeisterei auf Gebiete zu erstrecken, von denen die Herrschaften keine Ahnung haben. So ein Recht gibt es selbstverständlich nicht und die schlichte Tatsache, dass der christliche Missbrauch der Religionsfreiheit bisher nur punktuell eingeschränkt wurde (z. B. durch das Kruzifix - Urteil des BVerfG) ist als juristisches Argument für jüdisch - moslemischen Freiheitsrechtsmissbrauch völlig ungeeignet. Es gibt schlichtweg keine Gleichheitsansprüche im Unrecht, Argumente in der Art "xy darf das Unrecht begehen, also darf ich das auch" sind ein absolutes juristisches no - go. Wer so argumentiert, hat nicht die geringste Ahnung von der Materie.

Überhaupt Religionsfreiheit: Jedes Freiheitsrecht hat auch eine negative Seite, das (Abwehr-) Recht, einen bestimmten Beruf nicht ergreifen zu müssen oder in einen bestimmten Verein nicht eintreten zu müssen, ist verfassungsrechtlich mindestens so gewichtig wie die positive Berufswahl- und Vereinigungsfreiheit. Das gilt natürlich auch für die negative Religionsfreiheit der Kinder, die hier mit der "kollektiven Religionsfreiheit" der Eltern abzuwiegen ist.

Aber wie gesagt: Alle Politiker und Journalisten, die derzeit meinen, den Richtern in Köln Unfähigkeit nachsagen zu müssen, greifen nur dem BVerfG vor und viele von ihnen werden nach einem späteren Urteil ziemlich dumm dastehen.
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Re: Das Beschneidungsurteil und seine weitreichenden Folgen

Beitragvon DJ_rainbow » Do 30. Aug 2012, 09:50

Zumal es eigentlich recht simpel ist.

Von den Grundrechten der Art. 1-19 GG steht nur eins unter dem Schutz der Ewigkeitsgarantie. Und das ist - aus gutem Grund - eben nicht das "Recht", seine Kinder im Namen eines imaginären Götzen zu verstümmeln!

Wenn der liebe Gott gewollt hätte, dass Jungs und Männer keine Vorhaut haben sollen, hätte er sie ja ohne Vorhaut geschaffen.
In der Demokratie mästen sich Sozialisten in Parlamenten. Im Sozialismus hungern Demokraten in Zuchthäusern und Arbeitslagern.

Modi bei http://www.radio-xtream.de

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Re: Das Beschneidungsurteil und seine weitreichenden Folgen

Beitragvon maxikatze » Do 30. Aug 2012, 14:09

Rechtlich gesehen, ist Beschneidung bei einem Kind Körperverletzung. Ein Eingriff, der medizinisch nicht notwendig ist, dem Kind trotzdem keine andere Wahl zulässt, ist Körperverletzung.
Es steht Eltern nicht zu, ihren Kindern dieses "Geschenk" zu machen und als Rechtfertigung vorbringen, es sei identitätsstiftend. Imgrunde ist es eine brachiale Machtausübung, sonst nichts.

Es gehört zu unseren modernen Werten, an Kindern keinerlei Gewalt auszuüben. Kinder haben das Recht auf Gewaltfreiheit. Warum nehmen sich Eltern das Recht heraus, an ihren Jungen herumzuschnippeln? Religiöse Rituale, die auf eine Körperverletzung abzielen, sollten in unserem Land ohne wenn und aber verboten werden. Bei Zuwiderhandlung sollte das Kind später im fortgeschrittenem Alter das Recht haben, vor Gericht wegen Körperverletzung zu klagen.
Absehbar ist, dass der Staat, dem eine Trennung von Kirche und Staat immer noch nicht gelingt, was sich zum Beispiel ganz konkret bei Vereidigungen in dem Satz wieder "so wahr mir Gott helfe " wiederfindet, faule Kompromisse eingeht.

Beschneidung hat und hatte nie einen religiösen Wert. Sie wurde vor einigen tausend Jahren als ritueller Ersatz für Menschenopfer eingeführt.
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Re: Das Beschneidungsurteil und seine weitreichenden Folgen

Beitragvon Ali » Do 30. Aug 2012, 22:33

Alex: Hast Du eigentlich eine besondere Suchmaschine installiert, mit der man im Netz Dummschwätzer aufstöbern kann?


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Re: Das Beschneidungsurteil und seine weitreichenden Folgen

Beitragvon GasGerd » Fr 31. Aug 2012, 16:13

Nach dem Beschneidungsurteil wird jetzt auch das Ohrlochstechen bei kleinen Mädchen zum aktuellen Rechtsproblem:

"Berlin (dpa) - Ein dreijähriges Mädchen bekommt nach dem Stechen von Ohrlöchern 70 Euro Schmerzensgeld von der Inhaberin eines Tattoo-Studios. Mit diesem Vergleich endete am Freitag ein von den Eltern angestrengter Zivilprozess vor einem Berliner Amtsgericht."

Das ist ja nun wirklich ein total bescheuertes Ergebnis. Erstens konnte die Inhaberin des Tattoo - Studios die mögliche Rechtswidrigkeit des Ohrlochstechens nicht erkennen und hat damit nicht schuldhaft gehandelt - der Arzt, der in dem Kölner Fall die Beschneidung vorgenommen hatte, ist wegen Verbotsirrtums freigesprochen worden - und zweitens ist es eine sog. "unzulässige Rechtsausübung" wegen widersprüchlichen Verhaltens, wenn man zuerst ein Piercing in Auftrag gibt und dann wegen der sicher zu erwartenden Schmerzen eine Klage einreicht.

Die Kläger hätten also noch nicht einmal theoretisch den Prozess gewinnen können. Dass die Beklagte trotzdem einen Vergleich abgeschlossen hat, kann ich mir nur dadurch erklären, dass 70 Euro ziemlich billig für ein aufsehenerregendes und damit werbeträchtiges Prozessergebnis sind. So kommt der Fall ganz sicher in die Medien, bei einer Klageabweisung wäre das nicht so sicher gewesen.


http://meinungen.gmx.net/forum-gmx/post/16137175?sp=924#jump
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Re: Das Beschneidungsurteil und seine weitreichenden Folgen

Beitragvon AlexRE » Mi 5. Sep 2012, 13:27

In Berlin wollen jetzt der Justizminister und der Generalstaatsanwalt die religiöse Beschneidung legalisieren:

http://www.berliner-zeitung.de/politik/ ... 74624.html

Das LG Köln hatte aber eine verfassungsrechtliche Güterabwägung vorgenommen. Die könnte selbst der Bundesgesetzgeber nicht durch ein einfaches Gesetz revidieren, geschweige denn Berliner Staatsanwälte und Minister. Vielleicht reicht die Aktion ja für einen weiteren Freispruch wegen Verbotsirrtums, für mehr aber auf keinen Fall.
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