Presseschau Pussy Riot
"Putin hat Angst vor dem Volk"
Weltweit kritisieren Kommentatoren den Umgang Russlands mit Pussy Riot als überzogen. Sie sehen die Autorität Putins schwinden und fürchten zugleich neue Repressionen.
Pravo (Tschechien): Der Staat greift auf Methoden des Mittelalters zurück
"In Russland treffen zwei Welten aufeinander. Die Mehrheit setzt die Tradition der Zarenzeit sowie des bolschewistischen Staates fort und besteht auf der Unberührbarkeit der Autoritäten und einer Begrenzung der Freiheit. Nur eine Minderheit orientiert sich an völlig anderen Werten. (...) Die drei jungen Frauen (...) wären nie weltweit bekannt geworden, wenn nicht der russische Staat auf Methoden des Mittelalters zurückgegriffen hätte. Sekundiert wird er vor Gericht von der Mehrheitsmeinung und der orthodoxen Kirche. (...) In Russland spitzt sich die gesellschaftliche Atmosphäre zu. Unter der Oberfläche schwelt ein kalter Bürgerkrieg."
De Volkskrant (Niederlande): Putin hat an Autorität verloren
"Pussy Riot schien ein leichtes Ziel zu sein für den Zorn des Präsidenten. Allein schon das Genre der Band – feministischer Punk – wird von vielen Russen assoziiert mit 'westlicher' Dekadenz. Wahrscheinlich dachte Putin, mit seinem harten Auftreten könne er ohne das Risiko öffentlicher Entrüstung zeigen, wer der Boss ist. Durch das knallharte Vorgehen gegen Pussy Riot ist jedoch im In- und Ausland eine empfindsame Saite getroffen worden. Nach zwölf Jahren Putin wünschen sich viele Russen ein Regime, das weniger repressiv und korrupt ist. Die Macht Putins ist zwar noch nicht ernsthaft bedroht – auch weil er politische Alternativen zu seinem System im Keim erstickt. Doch wer seine Faust gegen drei wehrlose junge Frauen einsetzt, verliert ernsthaft an Autorität."
Nowaja Gaseta (Russland): Die Repressionen gehen weiter
"Das Urteil ist ein Teil des Dammes, der die Macht verteidigt, vor dem Hintergrund fallender Zustimmungswerte des ersten Mannes im Staat, des erwachenden politischen Bewusstseins der urbanen Mittelklasse, säkularer Medien und der Modernisierung des Bewusstseins. Den Boden dieses Dammes bilden bereits die Gesetze zur Versammlungsfreiheit und über ausländische Agenten sowie das künftige Gesetz über Freiwillige und andere Überraschungen aus den ersten Monaten des neuen Präsidenten. Mit diesem Urteil beweist die Führung, dass sie die Repressionen fortsetzen wird, manchmal auch unter dem Banner der Religiosität."
Salzburger Nachrichten (Österreich): Putins Angst vor dem Volk
"Putin, der sich gern als Modernisierer preist, schreitet mit großen Schritten in die Sowjetvergangenheit und in Richtung Diktatur. Dahin, wo nur eine Meinung zählt. In einer Demokratie ist alles umstritten, eine Meinung so willkommen wie die andere. Stete Diskussion, wenn auch manchmal nervtötend und langwierig, garantiert die Fähigkeit zur Erneuerung. Putin fürchtet Erneuerung. Denn sie könnte ohne ihn stattfinden. Putins Angst vor dem Volk wurde durch den Fall Pussy Riot deutlich. Die Tatsache, dass dieses Volk immer weniger Angst vor ihm hat, auch."
Luxemburger Wort (Luxemburg): Russland macht sich keine Freunde
"Nach dem Richterspruch im international beachteten Strafprozess gegen die Künstlerinnen Nadeschda Tolokonnikowa, Maria Aljochina und Jekaterina Samuzewitsch erntet Russland aus dem westlichen Ausland durchweg negative Reaktionen. In der Tat dürften die drei Sängerinnen mit ihrem Protest in der Erlöserkathedrale in Moskau am 21. Februar die Gefühle von Gläubigen verletzt haben. Und mit ihrem kremlkritischen Auftritt bewusst ein Strafverfahren und die damit verbundene mediale Aufmerksamkeit in Kauf genommen haben. (...)
http://www.zeit.de/politik/ausland/puss ... sseschau-2
17.08.2012
Schriftsteller Jerofejew im Interview
"Das Volk wollte eine harte Strafe"
Flashmob für die Angeklagten vor der Erlöser-Kathedrale in Moskau. "Selig sind die Gnädigen", lautet ihre Botschaft. Doch laut aktueller Umfragen halten 33 Prozent der Russen eine Haftstrafe von zwei bis sieben Jahren für gerechtfertigt.
Die Radikalen haben gewonnen: Mit dem Urteil gegen Pussy Riot wendet sich Russland endgültig vom Westen ab, sagt der Schriftsteller Wiktor Jerofejew im Interview. Die Mehrheit der Bevölkerung aber begrüße das drakonische Urteil, "das ist die schreckliche Wahrheit".
SPIEGEL ONLINE: Wie kommentieren Sie das Urteil gegen Pussy Riot?
Jerofejew: Es ist ein Wahnsinn. Das Urteil weckt die Erinnerungen an die schlechtesten Zeiten unserer Geschichte. Es spuckt all denen ins Gesicht, die ein modernes, weltoffenes Russland wollen. Ich fürchte, dieser Wahnsinn ist erst dann zu Ende, wenn eine neue Generation von Politikern heranwächst.
SPIEGEL ONLINE: Warum sprechen Sie von den schlechteste Zeiten russischer Geschichte?
Jerofejew: Weil diese Mädchen in die Geschichte Russlands eingehen werden so wie die Schauprozesse unter Stalin in den dreißiger Jahren oder der Prozess gegen den Dichter Joseph Brodski. Brodski wurde 1964 wegen Rowdytums angeklagt so wie Pussy Riot heute. Es ging aber damals um Politik so wie es heute um Politik geht.
SPIEGEL ONLINE: Worin sehen Sie den Kern der Auseinandersetzung?
Jerofejew: Als die Mädchen von Pussy Riot in die Christ-Erlöser-Kathedrale eindrangen, haben sie mit ihrem 40 Sekunden Auftritt auf eine paradoxe Weise und ohne es zu wollen die Achillesferse des heutigen Russlands getroffen. Die Aktion in der Kirche war für sie nur eine weitere provokative Performance. So wie die Gruppe Woina, was übersetzt Krieg bedeutet, einen Penis auf eine Brücke in Sankt Petersburg projiziert hat, um gegen die Macht der Geheimdienste zu protestieren. Die Kunst ist nun auch in Russland auf die Straße gegangen - so wie sie es in vielen Ländern tut.
SPIEGEL ONLINE: Welchen wunden Punkt hat Pussy Riot berührt?
Jerofejew: Die Vereinigung von Staatsideologie und der Ideologie der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK). Das iranische Modell: den Gleichklang von Staat und Religion.
SPIEGEL ONLINE: Übertreiben Sie da nicht?
Jerofejew: Russland steht an einer Weggabel. Noch vor kurzem schien es, als würden wir den Weg nach Westen suchen. Auf Umwegen zwar und mit dem Gepäck unserer langen autoritären Vergangenheit, aber doch den Weg nach Westen. Putin hat nun ganz bewusst Asien gewählt. Liberal ist in meiner Heimat zu einem Schimpfwort geworden. Dabei sind es die Liberalen, die für europäische Werte stehen.
SPIEGEL ONLINE: Warum hat Putin diesen Kurswechsel vorgenommen?
Jerofejew: Als Reaktion auf die Massenproteste. Der Kreml wendet sich von europäischen Werten ab und einem neuen ideologischen Code zu: der Vereinigung von Staat und Kirche. Unter dem Motto "Orthodoxe Zivilisation" soll eine neue Utopie geschaffen werden.
SPIEGEL ONLINE: Welche Ziele verfolgt der Kreml damit?
Jerofejew: In einer solchen religiös-orthodoxen Ordnung ist klar, wer Feind und wer Freund ist. Der Staat hält dann die Hebel in der Hand, um das moralische und politische Klima zu steuern. Die Verschärfung vieler Gesetze nach Putins Amtsantritt sah zunächst aus wie ein Pendelausschlag gegen die liberale Zeit unter seinem Vorgänger Dmitrij Medwedew. Durch den Prozess gegen Pussy Riot wurde diese Politik nun für alle sichtbar zum Programm.
SPIEGEL ONLINE: Wie reagierte die russische Gesellschaft auf den Prozess?
Jerofejew: Die Mehrheit wollte eine harte Strafe für Pussy Riot. Das ist die Stimme des Volkes. Das ist die schreckliche Wahrheit. Die Mädchen sollen in Stücke gerissen werden. Diese Menschen hatten Großväter und Großmütter, die mit großem Vergnügen zugesehen haben wie die Christus-Erlöser-Kathedrale von Stalin in die Luft gesprengt wurde, weil Religion als Opium für das Volk galt. Die Kathedrale wurde in den neunziger Jahren wiederaufgebaut, in ihr führten Pussy Riot ihre Aktion durch. Der Hass der Gegner von Pussy Riot kommt von der mangelnden Kenntnis der Religion. Sie vergessen, dass die Orthodoxe Kirche eine Tradition der Barmherzigkeit hat. Ja, den Gegnern von Pussy Riot ist selbst die Position der Orthodoxen Kirche noch zu mild. Da wird dann gesagt, dass doch in islamischen Staaten bei einem ähnlichen Vorfall noch viel härter reagiert würde. Wir erleben so etwas wie einen Bürgerkrieg unter dem Teppich.
SPIEGEL ONLINE: Wer steht auf der anderen Seite?
Jerofejew: Die aufgeklärte Gesellschaft. Die nimmt das nicht hin. Sie sind nicht bereit für das iranische Modell. Und auch viele einfache Menschen werden sich damit nicht anfreunden wollen. Sie wollen tanzen, sie wollen Nachtclubs mit nackten Brüsten. Daran haben sie sich in den vergangenen zehn Jahren gewöhnt. Putin hat die private Freiheit garantiert und nicht angerührt. Jeder konnte das Leben führen, das er wollte: Wer Nutte sein wollte, war Nutte. Wer ins Kloster wollte, ging ins Kloster.
SPIEGEL ONLINE: Es gibt in der Orthodoxen Kirche auch Kritiker des Prozesses gegen Pussy Riot. Warum haben diese sich nicht durchgesetzt?
Jerofejew: Die Radikalen rund um den Patriarchen haben gewonnen. Sie haben ihre Chance genutzt. Nach einigem Zögern hat sich die Kirche entschieden, nicht auf Milde, sondern auf Strafe zu setzen. Aus den Lehren des Christentums hat sie nicht den Frieden gewählt, sondern das Schwert. Nicht die Versöhnung, sondern die moralische Vernichtung dieser Mädchen.
Das Interview führte Matthias Schepp in Moskau
http://www.spiegel.de/politik/ausland/i ... 50657.html
maxikatze hat geschrieben:Wir haben bereits einen thread eröffnet. Es geht uns um ein ernstes Thema und nicht darum, dass unter obiger Überschrift "Putins pussies" alles ins Lächerliche gezogen wird.
17.08.2012
Schriftsteller Jerofejew im Interview
"Das Volk wollte eine harte Strafe"
Die zynische Cleverness des Zaren Wladimir
Zwei Jahre Straflager. Nach dem Urteil gegen die Punkband Pussy Riot ist eines klar: Stellt man sich gegen den russischen Staatschef Wladimir Putin, hat das weitreichende Konsequenzen.
Von Clemens Wergin
Zwei Jahre Straflager haben die jungen Frauen von der Punkband "Pussy Riot" von einem Moskauer Gericht aufgebrummt bekommen, weil sie in einer Kirche ein Putin-kritisches Lied zum Besten gaben. Ein Urteil, das davon zeugt, wie weit Russland auf dem Weg in eine erneute Diktatur vorangeschritten ist. Und mit welch unerbittlicher Entschlossenheit das Regime die erwachende russische Bürgergesellschaft mundtot zu machen versucht.
Man darf davon ausgehen, dass sich die Richterin Urteil und Strafmaß direkt vom Kreml hat diktieren lassen. Die verhängten zwei Jahre zeugen jedenfalls von der zynischen Cleverness des russischen Zaren Wladimir Putin. Die Strafe bleibt unterhalb der von der Staatsanwaltschaft geforderten drei Jahre, um das Ausland ein wenig zu beruhigen.
http://www.welt.de/debatte/article10867 ... dimir.html
Kennst Du die Geschichte dieser Kirche?
Und "40% der Russen" heisst nicht: "40% Religiöse"... Was Du hier ablässt ist schlicht dummes Zeug. Und warum inszeniert sich Putin da? Die Kathedrale ist 1931 von Stalin gesprengt worden und sollte ersetzt werden durch das damals höchste Gebäude der Welt, gekrönt von einer großen Stalin-Statue.
Belies Dich mal: http://de.wikipedia.org/wiki/Christ-Erl ... 8Moskau%29
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