Private Krankenversicherung und Hartz IV

Hier können Beiträge zu dem gesamten Themenkomplex von der Finanzierung des Gesundheitswesens bis zu speziellen Gesundheitsrisiken geschrieben werden.

Re: Private Krankenversicherung und Hartz IV

Beitragvon DJ_rainbow » Mi 9. Jun 2010, 10:53

Eine Meldung von gestern:

"Düsseldorf (dpa/lnw) - Jobcenter müssen die Kosten für die private Krankenversicherung von Hartz-IV-Empfängern vollständig übernehmen. Düsseldorfer Richter fällten zwei entsprechende Urteile zugunsten von Hartz-IV-Beziehern, wie das Sozialgericht am Dienstag mitteilte.

Die Kläger waren im günstigsten Tarif privat versichert, ein Wechsel in die gesetzliche Krankenversicherung war nicht möglich. Die Jobcenter (Argen) in Düsseldorf und im Kreis Viersen wollten nur einen Zuschuss in Höhe des Beitrags zur gesetzlichen Krankenversicherung gewähren. Die Differenz sollen die Hartz-IV- Empfänger selbst zahlen. Doch dann sei das Existenzminimum nicht mehr gewährleistet, befand das Gericht und verurteilte die Jobcenter zur Zahlung des vollen privaten Krankenversicherungsbeitrags (Az.: S 29 AS 547/10; AS 412/10).

Die Urteile sind nicht rechtskräftig, die Argen in Düsseldorf und im Kreis Viersen gingen in Berufung."


http://www.justiz.nrw.de/Mitteilungen/dpa_08_06_2010_4/index.php
In der Demokratie mästen sich Sozialisten in Parlamenten. Im Sozialismus hungern Demokraten in Zuchthäusern und Arbeitslagern.

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Re: Private Krankenversicherung und Hartz IV

Beitragvon Sall May » Mi 9. Jun 2010, 13:21

Dazu eine fachkundige Teilnehmerin auf Bürgermeinungen:

Ricarda hat geschrieben:Eine gerichtliche Klärung durch eine höhere - und hoffentlich von den unteren beachtete - Instanz gibt es leider nur, wenn es in den unteren Instanzen abweichende Meinungen gibt und die unterlegene Seite nicht aufgibt. Es wäre sicherlich wünschenswert, wenn der gesunde Menschenverstand - wonach unvermeidbare Sonderkaufwendungen (für private Krankenversicherung und bald vielleicht für vervielfachte Kontoführungsgebühren bei P-Konten) nicht vom Grundbedarf bestritten werden dürfen - irgendwann siegen würde. Das Verhältnis zwischen Justiz und gesundem Menschenverstand ist aber, vorsichtig ausgedrückt, nicht ganz spannungsfrei.
Man kann also wirklich nur hoffen, dass alle Betroffenen massenhaft klagen und irgendwann auf Bundessozialgerichts- oder Verfassungsgerichtsebene eine Entscheidung erstritten werden kann, die die unteren Instanzen respektieren.
Dass der Gesetzgeber hier für Klarheit sorgt, wage ich schon gar nicht zu hoffen.
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Re: Private Krankenversicherung und Hartz IV

Beitragvon AlexRE » Mi 9. Jun 2010, 13:24

Noch ein Beitrag von Bürgermeinungen herüberkopiert und meine Antwort:

Gast hat geschrieben:Die Urteile sind nicht rechtskräftig, die Argen in Düsseldorf und im Kreis Viersen gingen in Berufung."

Wieso gehen die Argen dagegen in Berufung? Es muss doch wohl klar sein das kein Mensch von nur 180,00 € mtl. richtig überleben kann.


Die ARGEn beziehen sich auf die einfachgesetzliche Rechtslage, nach der seit Anfang 2009 PKV - Versicherte eben von 180 Euro im Monat leben müssen. Dass das verfassungswidrig ist, ist ihrer Meinung nach eben nicht ihr Bier, weil jeder meint, dass nur das BVerfG für solche Fragen zuständig ist. Das ist allerdings eine allgemein vorherrschende falsche Vorstellung. Tatsächlich gilt das hier:

Artikel 1

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.


Quelle: http://dejure.org/gesetze/GG/1.html
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Re: Private Krankenversicherung und Hartz IV

Beitragvon Sall May » Mi 9. Jun 2010, 13:44

Menschen denen man fast alles nimmt, auch auf diesen Wegen, denen bleibt was noch übrig? Es wird sozialer Unfrieden immer mehr um sich greifen, oder? Natürlich hält man sich nicht an unser aller GG Art. 1. Wie man sich an vieles andere was zuvor Stabilität und Halt gab nicht hält. Warum aber kommt es zu so menschenverachtenden Verhaltensweisen immer mehr?
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Re: Private Krankenversicherung und Hartz IV

Beitragvon Sall May » Mi 9. Jun 2010, 16:04

Ein weiterer Beitrag von Bürgermeinungen hierher kopiert:

Ricarda hat geschrieben:Solange Richter unabhängig und nur dem Gesetz (das sie selbst fast nach Belieben auslegen können) unterworfen sind, solange wird die Würde der Anderen, der Hilfsbedürftigen, in der Gefahr sein, unterschiedlich beurteilt zu werden - jedenfalls solange nicht eine obere Instanz feststellt, was zur Würde des Grundleistungsempfängers gehört.

Reicht es aus, krankenversorgt zu sein, Essen kaufen zu können und ein Dach über dem Kopf zu haben, oder gehört dazu auch, nicht in zusätzliche Schulden und die eidesstattliche Versicherung getrieben zu werden?

Es ist völlig klar - oder sollte es sein - dass es zur Menschwürde gehören müsste, einen bescheidenen Bedarf decken zu können, und dazu gehört, dass alles, was all das Sonderausgaben sein müssten, was zusätzlich aufgewendet werden muss, um den Status anderer Empfänger derselben Leistung zu erhalten. Dies müsste also der gesamte Betrag für die Basistarife bei der PKV sein, aber wahrscheinlich auch die drastisch erhöhten Kontoführungsgebühren für P-Konten.

Ich habe in Rechtsstreitigkeiten mit Krankenversicherungen mehrfach erlebt, dass die beim Sozialgericht auftretenden Vertreter der Rechtsabteilung gehalten waren, in die nächste Instanz zu gehen, um eine Klärung auf einer Ebene zu erhalten, auf die sich die unteren Instanzen bei späteren Entscheidungen berufen konnten. Dabei schien es teilweise durchaus so, dass die Sitzungsvertreter nichts gegen eine einvernehmliche Regelung gehabt hätten.

Deshalb glaube ich, dass es für alle Beteiligten hilfreich wäre, wenn eine Entscheidung auf BSG- oder BVerfG-Ebene zustande käme.
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Re: Private Krankenversicherung und Hartz IV

Beitragvon AlexRE » Mi 9. Jun 2010, 16:06

Ricarda hat geschrieben:Deshalb glaube ich, dass es für alle Beteiligten hilfreich wäre, wenn eine Entscheidung auf BSG- oder BVerfG-Ebene zustande käme.


Diese Praxis finde ich in verfassungsrechtlich glasklaren Fällen höchst problematisch. Das BVerfG hat sich bereits mehrfach dazu geäussert, was im Lichte des Art. 1 GG als Lebensminimum zu verstehen ist. Die Halbierung des verfügbaren AlG II - Satzes für PKV - Versicherte ist damit ganz offensichtlich nicht zu vereinbaren.

Wenn auch offensichtlich verfassungswidrige neue Regelungen in jedem Einzelfall immer wieder durch alle Instanzen geprüft und schliesslich vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt werden müssen, ermöglicht das vorsätzlich verfassungsrechtswidriges Handeln der Staatsorgane auf Zeit. Bis zur endgültigen Klärung der in Wirklichkeit nicht klärungsbedürftigen Fragen sparen die Behörden schliesslich sehr viel Geld durch nicht angefochtene verfassungsrechtswidrige Bescheide in vielen Einzelfällen.

Das soll eben durch die gerade von mir zitierte Formulierung des Artikel 1 Abs. 3 GG ausgeschlossen werden.
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Re: Private Krankenversicherung und Hartz IV

Beitragvon Sall May » Mi 9. Jun 2010, 16:09

Ricarda hat geschrieben:Ich frage mich bloß, wie die erst- instanzlichen Gerichte dazu gebracht werden können, dieser klaren Auslegung zu folgen.

Es ist selbstverständlich, dass es mir lieber wäre, alle Unterinstanzen überzeugen zu können und die ARGE davon zu überzeugen, dass der Anspruch immer besteht.

Ich sehe das aber nicht funktionieren. Deshalb glaube ich eben, dass massenhaft durchgezogene Klagen mit der m.E. klaren Entscheidung der ggfs.letzten und höchsten Instanz die Behörden irgendwann zu überzeugen vermag, dass es recht teuer werden kann, klare Rechtsansprüche zu verweigern.

Ansonsten wäre es mir natürich lieber, wenn die Einsicht in grundrechtliche Basisgarantien Rechtssicherheit für die Betroffenen ermöglichen würde.
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Re: Private Krankenversicherung und Hartz IV

Beitragvon AlexRE » Mi 9. Jun 2010, 16:18

Ricarda hat geschrieben:Ich frage mich bloß, wie die erst- instanzlichen Gerichte dazu gebracht werden können, dieser klaren Auslegung zu folgen.

Es ist selbstverständlich, dass es mir lieber wäre, alle Unterinstanzen überzeugen zu können und die ARGE davon zu überzeugen, dass der Anspruch immer besteht.

Ich sehe das aber nicht funktionieren. Deshalb glaube ich eben, dass massenhaft durchgezogene Klagen mit der m.E. klaren Entscheidung der ggfs.letzten und höchsten Instanz die Behörden irgendwann zu überzeugen vermag, dass es recht teuer werden kann, klare Rechtsansprüche zu verweigern.

Ansonsten wäre es mir natürich lieber, wenn die Einsicht in grundrechtliche Basisgarantien Rechtssicherheit für die Betroffenen ermöglichen würde.


Ich wollte auch nicht behaupten, dass es derzeit andere Wege als den von Ihnen aufgezeigten gäbe.

Ich wollte nur hervorheben, dass das Verfassungspostulat des Artikel 1 Abs. 3 derzeit nicht in gesellschaftliche Realität umsetzbar ist (das gilt auch noch für weitere Ansprüche des GG, z. B. den aus Art. 38) und dass wir staatsrechtlich gesehen noch lange nicht in der besten aller Welten leben - auch wenn Deutsche sich das traditionell selbst einreden.
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Re: Private Krankenversicherung und Hartz IV

Beitragvon Sall May » Mi 9. Jun 2010, 16:23

Es ist für uns alle eine absolute Bereicherung an den Diskussionen fähiger Juristen Teilhabe zu haben. Dafür noch einmal meinen ausdrücklichen Dank.

In der Tat ist es schon sehr Elend was derzeit in diesem unserem Land abläuft, vor allem von Menschen produziert und provoziert die offensichtlich weder menschrechtlich, sachkundig noch fachjuristisch bewandert zu sein scheinen, oder?

Wie die Probleme die uns oder eben eine Vielzahl der Menschen drücken gut zu lösen sind, dass müsste endlich und vor allem schnell funktionieren. Die Leidenswege der Betroffen sehen wir nicht, und das scheint das größte Manko. Was man nicht sieht ist nicht da?
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Re: Private Krankenversicherung und Hartz IV

Beitragvon AlexRE » Di 18. Jan 2011, 22:25

Ein "happy end" nach genau 2 Jahren und ein paar Tagen Rechtsunsicherheit:

Privat krankenversicherte Hartz-IV-Empfänger bekommen die Kosten einer privaten Basis-Versicherung voll erstattet. Das entschied am Dienstag das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel. Es schuf damit Klarheit für über 30.000 Arbeitslose und auch für die Versicherungswirtschaft. Im Gesetz liege eine „planwidrige Lücke“ vor, die verfassungskonform zu schließen sei, erklärte das BSG zur Begründung. (Az: B 4 AS 108/10 R)


Quelle: msn.de

In diesen 2 Jahren hat ein Teil der deutschen Landessozialrichter die Auffassung vertreten, dass ehemals selbständige und privat Versicherte AlG II - Empfänger entweder von 150 Euro im Monat leben oder Schulden bei der PKH auflaufen lassen müssten.

Die Richter ohne rote Roben, die nur 5.000 oder 6.000 Euro im Monat verdienen, müssen anscheinend nicht wissen, dass Gesetzeslücken im Sinne des Grundgesetzes zu schließen sind.
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