Private Krankenversicherung und Hartz IV

Hier können Beiträge zu dem gesamten Themenkomplex von der Finanzierung des Gesundheitswesens bis zu speziellen Gesundheitsrisiken geschrieben werden.

Private Krankenversicherung und Hartz IV

Beitragvon Sall May » Sa 29. Mai 2010, 20:45

Das hat heute eine neue Teilnehmerin auf dem Forum des Portals Bürgermeinungen geschrieben:

Ricarda hat geschrieben:Es gibt inzwischen mehrere Entscheidungen, die davon ausgehen, dass Hartz-IV-Empfänger ein Anrecht auf volle Übernahme ihrer Beiträge für die private Krankenversicherung im Basistarif haben.

So hat das Sozialgericht Gelsenkirchen am 2.10.2009 (S 31 AS 174/09 ER) durch Eilbeschluss entschieden. Die unzureichende Übernahmeregelung in § 12 Abs. 1 c Versicherungsaufsichtsgesetz führt bisher dazu, dass eine Lücke von mindestens 155 € bleibt, die aus dem Regelsatz aufzubringen ist. Das Gericht sah einen Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz und hat die Regelung des § 26 Abs. 2 Nr. 2 SGB II für freiwillig gesetzlich Krankenversicherte, deren Beiträge ohne Begrenzung übernommen werden, analog angewandt.

Auch das Landessozialgericht Niedersachsen Bremen hat am 3.12.2009 durch Eilbeschluss (Az.: L 15 AS 1048/09 B ER) entsprechend entschieden, weil es die Regelung, aufgrund derer Bezieher von Alg II einen festen Zuschuss zur privaten Krankenversicherung bekommen, für verfassungswidrig hält. Das Gericht stellte fest, dass es die verfassungsmäßige Grenze des Existenzminimums unterschreitet, wenn nach Abzug der Krankenversicherung nur 180 € zum Leben bleiben.


Danke für diese Hinweise, die sicher noch für viele sehr wertvoll sein werden.
Sall May
 

Re: Private Krankenversicherung und Hartz IV

Beitragvon AlexRE » Sa 29. Mai 2010, 20:48

Die Rechtswidrigkeit dieser Regelung war vollkommen klar. Das wussten auch alle Beteiligten. Bis zu den diesbezüglichen Urteilen haben die Sozialleistungsträger aber ein hübsches Sümmchen eingespart und einige zehntausend Betroffene von 180 Euro im Monat gelebt.

So ein Umgang mit dem Rechtsstaatsprinzip ist kein Einzelfall, die planmäßige und für die Verantwortlichen risikolose Mitnahme von zusätzlichen Einnahmen oder Einsparungen durch gezielt rechtswidriges Handeln ist geradezu ein den Zustand unserer öffentlichen Ordnung kennzeichnendes Phänomen geworden.
Der Stuttgarter OB Rommel:

Ich trete überall, wo das notwendig ist, der Meinung entgegen, der Umstand, dass die Diktatur zu allem fähig war, berechtige dazu, die Demokratie zu allem unfähig zu machen.
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Re: Private Krankenversicherung und Hartz IV

Beitragvon Sall May » Sa 29. Mai 2010, 22:15

Ein weiterer Teilnehmer auf Bürgermeinungen hierzu:

Fassungsloser hat geschrieben:Und von diesen, wenn überhaupt verbliebenen 180,00 € sollten diese Menschen auch noch Strom, Telefon, Bewerbungen, Internet, Hyieneartikel, Waschpulver, Lebensmittel usw. bezahlen? Viele wurden sogar sanktioniert wenn sie es eben nicht schafften, oder gar als was?: "Als Sozialschmarotzer" bezeichnet". Und zwar maßgeblich von denen, die ihre Taschen voll haben?

Mal ganz abgesehen von den Fällen die heute in Deutschland noch immer kein Geld oder Hilfen erhalten, die irgendwann nicht mehr weiter wissen. Auch das gibt es zu Hauf, doch wer greift das alles mal offen und ehrlich auf?


Alles Themen die wir seit Anbeginn von Hartz IV auch bei http://www.aufbruch-mittelstand-partei.de aufgriffen. Und ich in meiner Position als Ratsfrau (in anderen Ländern nennt man es wohl dann und wann noch Stadträtin) aufgriff. Hartz IV ist ein großer Moloch, der Arbeitsmarkt, Binnenmarkt, sowie alle sozialen Themen und damit einhergehend Wirtschafsthemen auch.

Vielen fehlt der Bezug zum Menschen direkt. Ich denke wie das gemeint ist weiß jeder zu verstehen?

Ich kann als überzeugte Demokratin und mit meinem Herz für Menschen und Natur nicht verstehen wie man immer mehr respektlos mit gewissen Grundbedrüfnissen, den Menschen und eben auch der Natur umgeht.

Mehr als gut kann ich das alles ja nun auch mitempfinden weil ja auch ich persl. mehr als nur einwenig betroffen bin. Als ich mich begann einzusetzen sah das noch anders aus. Mag jeder daraus mal seine Schlüsse ziehen. Doch helfen und ändern kann man nur wenn es endlich einen großen Zusammenhalt gibt. Wenn der nicht gegeben ist, was soll man sich noch einsetzen?

Was Alexander von sich gab, das hörte ich auch schon u. a. von dem Sozialanwalt Conradis. Der sagte, das er die Meinung und Erkenntnis vertritt das man es geradezu darauf anlegen würden das die Schwächeren gar nicht er prozessieren. So bleibt das Geld eben in den Staatskassen und das sei nicht gerade wenig. Sollte das so stimmen, da kriegt man schon Magengrummeln, oder wie sieht das bei Ihnen die Sie hier lesen aus?

Was soll man bloß von alledem noch halten?

http://www.derwesten.de/staedte/essen/Hartz-IV-Behoerde-legt-neuem-Ombudsmann-Fesseln-an-id2431438.html

https://www.wdr.de/mediathek/html//regional/2008/12/22/lokalzeit-duisburg-ombudsmann-arge.xml?vote=5

Dieser erste Ombudsmann trat dann zurück. Man findet viel unter Google und etwas schon mal hier: http://www.derwesten.de/staedte/duisburg/Ombudsmann-legt-sein-Amt-nieder-id559933.html
Sall May
 

Re: Private Krankenversicherung und Hartz IV

Beitragvon Sall May » Mo 31. Mai 2010, 21:49

Private Krankenversicherung und Hartz IV - Betroffene bitte melden.

Ricarda hat geschrieben:Das LSG Sachsen-Anhalt hat durch einen gerade gefundenen Beschluss vom 14.4.2010 (l 2 AS 16/10 B ER wieder nur einen Anteil in Höhe von Beiträgen für gesetzliche Krankenkassen bewilligt, aber darauf hingewiesen, dass wegen Beitragsrückständen im Basistarif keine Leistungen verweigert werden dürfen.

Das hindert allerdings nicht, dass zivilrechtlich Beitragsrückstände eingeklagt werden könnten – mit der möglichen Folge der Eidesstattlichen Versicherung bei Nichtbeitreibbarkeit.

Auch das Sozialgericht Villingen soll – weil die Leistungen im Basistarif trotz Beitragsrückstands erbracht werden müssen – unter Hinweis auf eine LSG-Entscheidung (wahrscheinlich die oben) eine Klage abgewiesen haben. Hier kenne ich kein Aktenzeichen.

Meiner Meinung nach müssten Betroffene – also privat versicherte HartzIV-Empfänger massenhaft Anträge auf volle Übernahme der Krannkenversicherungsbeiträge stellen und bei Ablehnung klagen. Durch einzelne Gerichte, die wie das LSG Sachsen-Anhalt den Antrag ablehnen, besteht vielleicht die Möglichkeit, nach Erschöpfung des Rechtswegs durch eine Verfassungsbeschwerde für Klärung zu sorgen, auch wenn die Erfolgsquoten nicht allzu hoch sind. Nur dann bestünde aber die Chance, dass die Erfolge in Einzelfällen sich mittelfristig positiv für andere auswirken. Zunächst muss jeder selbst seine Rechte durchzusetzen versuchen.

Vielleicht könnten sich Betroffene melden, die dagegen vorgehen wollen, damit ggfs. Unterstützung und Hilfestellung organisiert werden kann.


Den Rest des ausführlichen Beitrages bitte ich Ricardas Beitrag zu entnehmen.

Danke für die Hinweise Ricarda.
Sall May
 

Re: Private Krankenversicherung und Hartz IV

Beitragvon AlexRE » Mo 31. Mai 2010, 22:15

Hier eine detaillierte Darstellung der Rechtsauffassung des LSG Sachsen-Anhalt:

http://www.kostenlose-urteile.de/Hartz- ... ws9712.htm

Die Sozialgerichte Gelsenkirchen und Bremen hatten ihre verfassungsrechtlichen Bedenken u. a. auf den Gleichheitsgrundsatz gestützt. Der Verweis des LSG Sachsen-Anhalt auf die Möglichkeit, immer weiter Schulden bei der PKV aufzuhäufen und trotzdem den Versicherungsschutz zu behalten, ist völlig ungeeignet, diesen verfassungsrechtlichen Vorbehalt zu entkräften.

Die Betroffenen wären damit die einzigen Menschen in Deutschland, denen eine Verbraucherinsolvenz und damit die Restschuldbefreiung verwehrt bliebe.
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Re: Private Krankenversicherung und Hartz IV

Beitragvon Sall May » Mo 31. Mai 2010, 23:10

Und wie soll es jetzt in diesen Fällen weiter gehen? Und, als Nichtjuristin stelle ich mal eine laienhafte Frage: "Müssen die Leute durch solche Verhaltensweisen und Forderungen, quasi in Schulden und somit in Insolvenz getrieben werden?" Wer hat denn was davon? :?:
Sall May
 

Re: Private Krankenversicherung und Hartz IV

Beitragvon AlexRE » Mo 31. Mai 2010, 23:36

Sall May hat geschrieben:Und wie soll es jetzt in diesen Fällen weiter gehen? Und, als Nichtjuristin stelle ich mal eine laienhafte Frage: "Müssen die Leute durch solche Verhaltensweisen und Forderungen, quasi in Schulden und somit in Insolvenz getrieben werden?" Wer hat denn was davon? :?:


Jedenfalls werden die im PKV - Basistarif versicherten ehemaligen Selbständigen nach der Vorstellung des LSG Sachsen-Anhalt sowohl in Schulden getrieben als auch der Möglichkeit einer Restschuldbefreiung nach einer Verbraucherinsolvenz beraubt.

Beides ist eine grobe Ungleichbehandlung gegenüber GKV - versicherten Arbeitslosen und verfassungsrechtlich beim besten Willen nicht vertretbar.
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Re: Private Krankenversicherung und Hartz IV

Beitragvon Sall May » Mo 31. Mai 2010, 23:37

Was bin ich euch Juristen dankbar, das ihr hier in der Vielzahl mitlest und schreibt. Das muss ja mal in aller Deutlichkeit gesagt werden. Danke.
Sall May
 

Re: Private Krankenversicherung und Hartz IV

Beitragvon Sall May » Mi 2. Jun 2010, 09:51

Ein weiterer informativer Beitrag von Bürgermeinungen hierher kopiert:

Ricarda hat geschrieben:Am 9.2.2010 hat das Bundesverfassungsgericht (- 1 BvL 1/09 -, - 1 BvL 3/09 -, - 1 BvL 4/09 -) übrigens u. a. entschieden, dass der Gesetzgeber den typischen Bedarf zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums (dessen Gewährleistung ein Grundrecht ist) durch einen monatlichen Festbetrag decken darf, aber „für einen darüber hinausgehenden unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf einen zusätzlichen Leistungsanspruch einräumen“ muss.

Man sollte eigentlich meinen, dass daraus schon die Verpflichtung resultieren müsste, die private Krankenversicherung bei Hartz IV-Empfängern beim Basistarif in voller Höhe zu übernehmen. Da aber alles ausgelegt werden kann – und von Juristen gerne fröhlich ausgelegt wird – kann man eben darüber diskutieren, ob ein „unabweisbarer … Bedarf“ besteht, wenn die Krankenversorgung gesichert bleibt, auch wenn man nur den von der ARGE gezahlten Anteil an die Krankenversicherung weiterleitet und ansonsten den vollen REgelsatz zum Leben verwendet. Dass dann ein schnell zusätzliche Schulden entstehen, für die man dann halt die Eidesstattliche Versicherung ablegt – und endgültig ruiniert ist – fällt dabei unauffällig unter den Tisch.

Offenbar bedarf es auch noch verfassungsgerichtlicher Klärung, dass es menschenunwürdig ist, einen Hilfeempfänger in Schulden zu treiben. Denn dies tut man ja, wenn man eine Krankenversicherungspflicht festschreibt und bei den Privatversicherten, die keine Möglichkeit einer gesetzlichen Krankenversicherung haben, den Mindestbetrag im Basistarif nicht zusätzlich zum menschenwürdigen Existenzminimum zahlt, denn wenn sie die Krankenversicherung in voller Höhe bezahlen, berauben sie sich dann ja selbst ihres Existenzminimums, das ihnen das Bundesverfassungsgericht zuerkannt hat.
Sall May
 

Re: Private Krankenversicherung und Hartz IV

Beitragvon AlexRE » Mi 2. Jun 2010, 12:07

Ricarda hat geschrieben:Offenbar bedarf es auch noch verfassungsgerichtlicher Klärung, dass es menschenunwürdig ist, einen Hilfeempfänger in Schulden zu treiben.


Ich halte den Artikel 1 GG hier auch für einschlägig. Daneben halte ich aber auch die Rechtsauffassung der Sozialgerichte Bremen und Gelsenkirchen für vollkommen richtig, die hier eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG sehen. Für eine Ungleichbehandlung privat Versicherter dahingehend, dass sie sich als einzige Sozialleistungsempfänger für einen Teil der ihnen zustehenden Leistungen verschulden müssen, ist kein sachlicher Grund ersichtlich.
Der Stuttgarter OB Rommel:

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