Der Artikel 3 Absatz 1 - der allgemeine Gleichheitssatz - wirkt über seinen Wortlaut hinaus auch als absolutes Willkürverbot, ist deshalb rechtssystematisch untrennbar mit Artikel 20 Abs. 3 GG - also dem Rechtsstaatsprinzip - verbunden und steht deshalb unter der Ewigkeitsgarantie des Artikel 79 Abs. 3 GG. Das gilt wiederum auch für das mit dem Willkürverbot und dem Rechtsstaatsprinzip ebenfalls rechtssystematisch untrennbar verbundenen besonderen Bestimmtheitsgebot, also dem strafrechtlichen Rückwirkungsverbot. Das habe ich heute auf dem anderen Forum geschrieben:
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Das Recht zur Züchtigung haben spätestens seit November 2000 auch die Eltern nicht mehr.
Die Gesetzesänderung ist auf eine m. M. n. höchst bedenkliche Weise öffentlich kommuniziert worden. Die verantwortlichen Poltiker haben damals so getan, als wenn das mit dem "Rechtsanspruch auf eine gewaltfreie Erziehung" im BGB nur eine rein zivilrechtliche Angelegenheit sei und man Eltern selbstverständlich nicht kriminalisieren wolle. Die wollten keine Wähler verprellen, staatliche Einmischungen in Familienangelegenheiten sind klassischerweise ein sensibles politisches Thema. Ich kann mich noch gut an eine Talkshow mit der damaligen Familienministerin R. Schmidt erinnern, in der sie die Gesetzesänderung ausdrücklich als strafrechtlich irrelevant dargestellt hat.
Tatsächlich hat es im Strafgesetzbuch nie einen Rechtfertigungsgrund namens "Züchtigungsrecht" gegeben, zu Gunsten von Angeklagten können Strafgrichte aber Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe selbst entwickeln oder aus anderen Gesetzen herauslesen, zu Lasten von Angeklagten geht das nicht. Dem steht das besondere Bestimmtheitsgebot bzw. Rückwirkungsverbot entgegen, Art. 7 EMRK, 103 Abs. 2 GG und § 1 StGB.
Dieses hochrangige Rechtsprinzip erfordert aber auch ein hohes Maß an Rechtsklarheit im strafrechtlichen Bereich, niemand darf im Unklaren über die Strafbarkeit seines Handelns sein.
Mit dem Streichen des auch im Strafrecht wirkenden zivilrechtlichen Züchtigungsrechts hat die Politik damals also faktisch den Anwendungsbereich der Körperverletzung und der Misshandlung Schutzbefohlener auf elterliche Erziehungsmethoden erweitert und dies aus politisch - taktischen Gründen gezielt verschleiert.
Im Ergebnis wissen viele Eltern heute noch nicht, dass sie sich mit vermeintlich "normalen" Züchtigungen ihrer Kinder strafbar machen, ich habe das schon öfters Bekannten erklären müssen. Die wollten das alle zunächst nicht glauben, weil sie sich das nicht vorstellen konnten.
Soweit der kleine Exkurs zu dem wegen der rechtssystematischen Verbindung zum Rechtsstaatsprinzip und zum absoluten Willkürverbot unter der sog. "Ewigkeitsgarantie" nach Art. 79 Abs. 3 GG stehenden Verfassungspostulat des Art. 103 Abs. 2 GG. Das ist nur ein besonders grelles Beispiel dafür, wie weit Verfassungsanspruch und gesellschaftliche Realität auseinanderklaffen können. Es gibt noch eine Vielzahl von anderen, nicht so leicht zu durchschauenden Erosionserscheinungen an angeblich untastbaren Verfassungsrechtsgütern. Wenn man sich damit näher befasst, kann einem nur noch pottschlecht werden.