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Wie hungrige Geier
Bis ins Jahr 2000 verfügte die Schweizerische Nationalbank über einen Goldschatz von 2590 Tonnen. Die Hälfte davon ist weg. Wer hat den Verkauf vorangetrieben? Warum gab es keine Volksabstimmung? Wie ist der Abbau der Goldreserven rückblickend zu bewerten?
Von Peter Keller
Sag mir, wo die Goldreserven sind, wo sind sie geblieben? Im Mai 2000 verfügte die Schweizerische Nationalbank (SNB) über Goldreserven von rund 2590 Tonnen. Fünf Jahre später ist die Hälfte davon verkauft – «eine Transaktion von historischem Ausmass», wie das damalige Direktionsmitglied und der heutige SNB-Präsident Philipp Hildebrand abschliessend prahlerisch bemerkte.
Der Verkauf der 1300 Tonnen Gold ergab einen Erlös von 21,1 Milliarden Franken. Wie kamen diese enormen Goldbestände der Nationalbank überhaupt zusammen? Wer hat den Verkauf der Reserven vorangetrieben? Was ist aus dem Erlös geworden? War der Abbau rückblickend ein Fehler?
Wie kommt die Schweiz zu ihrem Gold?
Bis Anfang der 1970er Jahre war die währungspolitische Welt noch in Ordnung – wenigstens auf dem Papier. Nach dem Krieg hatten sich die wichtigsten Nationen auf fixe Wechselkurse verständigt (Bretton-Woods-System). Als Leitwährung fungierte der Dollar. Dafür verpflichtete sich die amerikanische Zentralbank, ihre Währung zu einem definierten Goldkurs zu kaufen oder zu verkaufen (Gold-Dollar-Standard).
Bald zeigten sich die Konstruktionsmängel im System, weil die Nationalbanken keine verbindlichen Deckungsvorschriften einhalten mussten. Um die Konjunktur anzukurbeln, fluteten einzelne Länder ihre Volkswirtschaften mit billigem Geld und legten damit die Basis für zweistellige Inflationsraten. Die chronisch negative Zahlungsbilanz der USA verpasste Bretton Woods schliesslich den Todesstoss. 1973 wurden die Wechselkurse definitiv freigegeben. Als eines von wenigen Ländern hielt die Schweiz per Verfassung daran fest, mindestens vierzig Prozent der sich im Umlauf befindenden Franken-Menge durch Gold zu decken.
Wie kam die Schweiz überhaupt zu ihrem Goldschatz? Mit dem Nationalbankgesetz von 1907 begann die SNB ihre Edelmetallbestände kontinuierlich aufzubauen, besonders während des Ersten Weltkrieges, als man einen Verlust der Goldreserven befürchtete. Von 1914 bis 1918 importierte die Schweiz grosse Mengen an Goldmünzen. Die Reserven stiegen von 212 Millionen Franken auf 432 Millionen. Damit waren sogar achtzig Prozent der umlaufenden Schweizer Banknoten mit Gold hinterlegt.
Ähnlich verfuhr die SNB im Zweiten Weltkrieg. Was volkswirtschaftlich vorteilhaft war, sorgte dann bei der historischen Aufarbeitung (Stichwort «Raubgold») für eine selbstanklägerische Grundstimmung, die die späteren Riesenverkäufe begünstigte. Zwischen 1939 und 1945 kauften die Schweizer Währungshüter Gold von der Deutschen Reichsbank im Wert von 1231,1 Millionen Franken, allerdings auch von den alliierten Mächten: für 668,6 Millionen von Grossbritannien und für 1528,7 Millionen von den USA.
Die grössten Goldkäufe sind jedoch mit dem System von Bretton Woods verbunden. Von 1946 bis 1971 vermehrte die Nationalbank ihre Reserven von 1016 auf 2585 Tonnen, um den festen Frankenkurs aufrechterhalten zu können. Weil man den USA nicht traute, tauschte die SNB die ihr zufliessenden Dollarbeträge regelmässig in Gold um.
Ulrich Gygi plädiert für den Verkauf
Bis in die 1990er Jahre verändern sich die Goldbestände kaum. Dafür wächst der Unmut über das vermeintlich brachliegende Kapital – besonders auch innerhalb der Nationalbank: «Die Goldbestände von Zentralbanken stellen ein blockiertes Vermögen dar, das keine Zinsen einbringt.»
Seit der Freigabe der Wechselkurse 1973 war der Dollar von Fr. 4.30 auf rund einen Viertel seines Wertes gefallen. Damit erlitt auch die SNB Milliardenverluste auf ihren Devisenanlagen. Während der Wert des Goldes schrumpfte, vervielfachten sich die Aktienindizes. Die Finanzspezialisten gingen davon aus, dass diese Entwicklung so anhält.
Der Bundesrat bildet eine interne Expertengruppe. Diese kommt 1997 zum Schluss, dass die Schweiz im internationalen Vergleich über «zu hohe» Währungsreserven verfüge und ein Teil des Goldes aus der Bilanz ausgegliedert werden solle. Den Bericht verantworten der damalige SNB-Direktor Peter Klauser und Ulrich Gygi, zu dieser Zeit Chef der Eidgenössischen Finanzverwaltung. Ihre Expertise stellt die Weichen für eine Umschichtung der Reserven und ermöglicht am Ende auch die Veräusserung grosser Anteile des Goldes. Gygi wird bald darauf seine beachtliche Karriere fortsetzen: Von 2000 bis 2009 leitet er die Schweizerische Post. Mittlerweile präsidiert der SP-Mann den Verwaltungsrat der SBB.
Wie erklärt sich die plötzliche Ausverkaufsstimmung? Woher rührt dieser dramatische Kulturwandel von einer hortenden Nationalbank zu einer Institution, die sogar selber dafür besorgt ist, dass sich die Politik auf den Goldschatz stürzt wie ein hungriger Geier?
Die SNB steht mit ihren Absichten nicht alleine – und spürt den Hohn der Medien im Nacken. Das Wirtschaftsmagazin Bilanz lobt Belgien und Portugal für ihre Geldpolitik. Diese hätten die Goldbestände sukzessive heruntergefahren, während «die eidgenössischen Geldwerthüter wie die letzten Mohikaner auf ihrem unproduktiven Kavernengold sitzen». Die beiden Vorzeigestaaten gehören heute zu den Rekordschuldnern im Euro-Raum.
Gerangel um Milliarden
Richtig in Fahrt kommt die Debatte mit der Raubgold-Geschichte. Die Eidgenossenschaft fand sich urplötzlich auf der Anklagebank wieder: Schweizer Banken (wie auch die SNB) sollten sich systematisch am jüdischen Elend bereichert haben. Auf Anraten des Direktoriums- präsidenten Hans Meyer liess Bundespräsident Arnold Koller (CVP) den Goldbestand neu bewerten, um mit einem Teil der Buchgewinne (rund sieben Milliarden Franken) eine Solidaritätsstiftung als Wiedergutmachung einzurichten. Im März 1997 lanciert Koller die Idee öffentlich.
Im Jahr darauf schlägt der Bundesrat vor, 1300 Tonnen Gold der Nationalbank für andere als geldpolitische Zwecke zu verwenden. Justizminister Koller erlaubt sich in der Ständeratsdebatte eine inzwischen vielfach zitierte Formulierung. Mit dem Beitritt zur Weltbank und zum Internationalen Währungsfonds habe sich die Schweiz zu einem Verbot der Goldbindung des Frankens verpflichtet. Das sei im Wesentlichen der Grund, warum die SNB heute über «überschüssige Goldbestände» verfüge.
Im April 1999 nehmen Volk und Stände die Totalrevision der Bundesverfassung an, mit welcher auch klammheimlich die Goldparität des Frankens abgeschafft wird. Im Juni gibt die SNB bekannt, 1300 Tonnen Gold auf den Markt werfen zu wollen. Da war das politische Gerangel um die Milliarden bereits am Laufen.
Schliesslich entscheidet das Volk: mit einem doppelten Nein. Die Bürger versenken die Goldinitiative der SVP (überschüssige Goldreserven für die AHV) wie auch den Gegenvorschlag mit der Solidaritätsstiftung. Im Februar 2005 legt der Bundesrat fest, dass die 21 Milliarden Franken zu einem Drittel dem Bund und zu zwei Dritteln den Kantonen ausbezahlt werden.
«Sie können reich, sehr reich werden»
Als sich die Politik über den Ausschüttungsmodus einig wird, sind die 1300 Tonnen Gold bereits verkauft. Eine eigentliche Volksabstimmung wurde umgangen, obschon es sich bei den Reserven um Volksvermögen handelt. Mit der neuen Bundesverfassung wurde der Verkauf rechtlich möglich gemacht, ohne dass man ihn grundsätzlich und mit dem Souverän ausdiskutiert hätte. Im Unterschied zu 1951: Damals stimmten 71 Prozent einer Änderung der Bundesverfassung zu: «Die ausgegebenen Banknoten müssen durch Gold und kurzfristige Guthaben gedeckt sein.» Die auf Stabilität ausgerichtete Goldbindung war direktdemokratisch gestützt.
Die sieben Milliarden für den Bund kommen schliesslich dem AHV-Fonds zugute. Und die restlichen vierzehn Milliarden? Sie werden nach der Finanzkraft der Kantone verteilt. Entsprechend variieren die Beträge pro Einwohner. Das klamme Wallis erhält Fr. 4078.65 pro Einwohner, das potente Zug lediglich Fr. 1196.72 (siehe Abbildung unten). Bern bekommt das Doppelte pro Kopf (Fr. 2454.93) von Zürich (Fr. 1256.56).
Mit Gerechtigkeit hatte dieser Schlüssel nichts zu tun. Die Reserven wurden über rund hundert Jahre gebildet. Da wirkt es eher willkürlich, wenn für die Verteilung bloss der Index der Jahre 2004/2005 herangezogen wird. Die gute allgemeine Wirtschaftslage mag die freundeidgenössische Geste der stärkeren Kantone begünstigt haben.
Nun lag es in der Autonomie der Kantone, was mit den Millionen und Milliarden zu geschehen habe. Bern setzte seine 2,353 Milliarden vollumfänglich für den Schuldenabbau ein. In Uri sollte ein Innovationsfonds eingerichtet werden – das Parlament lehnte ihn ab, so wie in Basel-Stadt die Legislative nichts von einer eigenen Solidaritätsstiftung wissen wollte. Der Kanton Freiburg finanzierte mit einem Teil des Goldes ein zweites Kindergartenjahr, Obwalden seine Steuerstrategie: Der Bergkanton senkte die Sätze für höhere Einkommen und Holdinggesellschaften und konnte den finanziellen Krebsgang erfolgreich umkehren.
Die meisten Parlamente setzten mindestens einen Teil des Geldes zum Abbau der Schulden ein. Mit der seit 2003 in Kraft gesetzten Schuldenbremse konnten die tüchtigeren Kantone ihre Finanzen sanieren und sogar Eigenkapital bilden. Insofern halfen die Golderträge mit, dass die Schweiz heute im Vergleich viel besser dasteht als die überschuldeten Krisenstaaten.
Bleibt die Frage: War es trotzdem falsch, das Gold zu verkaufen? Der Zürcher Privatbankier Ferdinand Lips (1931–2005) prophezeite 2004: «Der Dollar ist unwiderruflich dem Untergang geweiht.» Er warnt vor der Geldschwemme. «Greenspan [damaliger Präsident der US-Notenbank] pumpt und pumpt.» Die Aktienmärkte seien überbewertet. «Deshalb gebe ich Ihnen heute den Rat: Kaufen Sie Gold.» Die Börsenhausse des Goldes stehe erst am Anfang. «Sie als Investor stehen heute vor der grössten Gewinnchance Ihres Lebens. Eine Chance, die Sie gewöhnlich nicht in einer, sondern nur in zwei Generationen erleben. Es ist die Chance, reich, ja sehr reich zu werden.»
Wer ihm gefolgt ist, hat sein Kapital seither verdreifacht. Die bis 2005 für 21,1 Milliarden Franken verkauften Goldreserven der SNB sind heute 62,7 Milliarden wert.