Präsident des BVerfG Volksabstimmungen auf Bundesebene

Soll die neue Verfassung Volksabstimmungen nach bekanntem Muster vorsehen oder muss man über neue, auf die Bundesrepublik zugeschnittene Modelle nachdenken?

Präsident des BVerfG Volksabstimmungen auf Bundesebene

Beitragvon AlexRE » So 3. Jan 2010, 19:35

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts spricht sich gegen Volksabstimmungen auf Bundesebene aus:

Generationsübergreifende Gerechtigkeit sei von entscheidender Bedeutung – in der Sozialpolitik, der Finanz- und Haushaltspolitik wie in der Klimapolitik. Die Politik müsse sich stärker an den langfristigen Interessen der Gesellschaft orientieren, forderte der Jurist. Nicht selten würden sie aber von den Interessen der gegenwärtigen Generation der Wähler verdrängt, was sich im Handeln der politischen Parteien niederschlage.


Quelle: zeit.de

Das sagt der (von Berufspolitikern eingesetzte) oberste Richter eines Staates mit einem Rentensystem, das insgesamt ein geradezu kriminelles und für die Gesellschaft zersetzendes Geschäft zu Lasten von Kindern und Ungeborenen darstellt.

Gerade in Punkto Rentensystem hat sich die "Schwarmintelligenz" einer grossen Masse von Menschen den Kungeleien von lobbyistenumlagerten Parteibuchkarrieristen als turmhoch überlegen erwiesen. Das Rentensystem der Schweiz ist nämlich in einer Reihe von Volksabstimmungen entstanden und eindeutig verantwortungsvoller gegenüber der nächsten Generation als das Elaborat der deutschen "Generalisten mit dem Spezialgebiet, den politischen Gegner zu beschädigen" (R. v. Weizsäcker über deutsche Politkarrieristen).
Der Stuttgarter OB Rommel:

Ich trete überall, wo das notwendig ist, der Meinung entgegen, der Umstand, dass die Diktatur zu allem fähig war, berechtige dazu, die Demokratie zu allem unfähig zu machen.
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Re: Präsident des BVerfG Volksabstimmungen auf Bundesebene

Beitragvon AlexRE » Mo 4. Jan 2010, 15:41

Nach weiteren Recherchen zum Thema "BVerfG und Volksabstimmungen" muss ich daran erinnern, dass das Gericht nach Parteibuchproporz von Berufspolitikern besetzt wird.

Hier ein Interview mit der Verfassungsrichterin Lübbe - W., in der sie das Gegenteil der Meinung von Herrn Papier vertritt:

Plädieren Sie für die Einführung von Volksabstimmungen im Grundgesetz?

Ich will nicht plädieren, sondern Zusammenhänge und Entwicklungen verdeutlichen, und die sind so, dass das kommen wird, egal ob und wofür ich plädiere. Denn nur so können die Bürger ihre differenzierten Vorstellungen auch differenziert zum Ausdruck bringen und anders entscheiden als auf der Linie der Partei, die sie gewählt haben. Schon allein diese Möglichkeit oder die Notwendigkeit, bestimmte besonders wichtige Fragen dem Volk zur Entscheidung vorzulegen, wird dann auch das Verhalten der gewählten Repräsentanten verändern.


Quelle: taz.de

Diese Meinungsverschiedenheit ist deshalb so aufschlussreich, weil Frau Lübbe - W. und Herr Papier schon zu ihrer gemeinsamen Zeit als Professoren in Bielefeld in wichtigen Angelegenheiten nie unterschiedlicher Auffassung waren und schließlich gemeinsam zum BVerfG gegangen sind.

Warum erzählen sie ausgerechnet in dieser wichtigen Frage das jeweilige Gegenteil? Ich kann mir das wirklich nur so erklären, dass Verfassungsrichter nach Parteibuchproporz ausgewählt werden und Herr Papier auf CDU - Ticket gereist ist, Frau Lübbe W. aber auf SPD - Ticket. Die CDU und die SPD vertreten offiziell entgegengesetzte Meinungen zu der grundsätzlichen Frage, ob Volksabstimmungen auf Bundesebene wünschenswert seien oder nicht.

Und noch ein Indiz dafür, dass die aktuelle Meinungsäusserung parteipolitisch motiviert ist:

Hans-Jürgen Papier, Präsident des Bundesverfassungsgerichts
Beitrag bei „Das Parlament“ am 6. April 2009:

„Eine weitere Möglichkeit, dem Bürger mehr politische Gestaltungsmacht zu geben, wäre ein Gesetzesinitiativrecht, wie es der Vertrag von Lissabon auf EU-Ebene vorsieht. […] Würde eine vergleichbare Möglichkeit auf Bundesebene eröffnet, hätten nicht mehr nur Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung das Recht zur Einleitung eines Gesetzgebungsverfahrens; vielmehr könnte ein solches auch vom Volk initiiert werden.“

Auch in einem Radio-Beitrag im Bayerischen Rundfunk am 6. Juli 2008 sprach sich Papier für Direkte Demokratie auf Bundesebene aus.


Quelle: volksentscheid.de

Herr Papier scheint also doch nicht so grundsätzlich anderer Auffassung zu sein als Frau Lübbe - W.. Die den Anlass für diesen thread bildende Äusserung von ihm kann folglich nur dem Parteibuch - Ticket geschuldet sein.
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Re: Präsident des BVerfG Volksabstimmungen auf Bundesebene

Beitragvon Uel » Di 12. Jan 2010, 13:11


Einfach abwegig, die "seiner" Partei geschuldete Überlegung von Herrn Papier!

Wer kann außer den gerade Wahlberechtigten und den gerade aktiven Politikern die Weichen für die Zukunft stellen? Keiner sonst!!!

Das Interesse der Politiker aber reicht eine Legislaturperiode weit, das der Wähler sicherlich länger. Gerade wieder aktuell dokumentiert mit der Umfrage, dass eine wesentliche Mehrheit nicht an kurzfristigen Steuersenkungen und -geschenken interessiert ist, sondern eine langfristige Sanierung des Haushaltes für wesentlich wichtiger hält. Gerade die, die von dem Steuersenkungstheater der FDP am meisten profitieren werden, sollen noch deutlicher den langfristigen Schuldenabbau favorisieren. (Wer kennt die genauen Zahlen?) Herr Papier macht die Leute schlechter als sie sind und schiebt den Politikern einen Heiligenschein zu.

Der einzige Weg, den Pool der zukunftsorientierten Wähler zu erhöhen wäre, jedem Bürger ein Wahlrecht (Kinderwahlrecht) zu geben. Die, die noch nicht die Wahl-Volljährigkeit besitzen, können es auf ihre Eltern oder Grosseltern übertragen oder, wenn sie denen misstrauen, es auch verfallen lassen. Es würde die politischen Diskussionen in den Familien befördern und der Meinungsbildung nutzen. Die Höchstgrenze müsste aber dann eine übertragene Stimme pro ausgewählten Wähler sein. Dann würden die zukünftigen Generationen best möglichst vertreten. Mit einem hinreichenden Wissenstest könnte man auch event. die vorzeitige Wahlreife ab einem Mindestalter bescheinigen, man besitzt damit eine neue Gruppe, den qualifizierten Wähler. Zum Glück haben wir auch keine Wahlpflicht, somit zählen die Stimmen der Uninteressiertesten nicht. weil sie bei Wahlen zu Hause bleiben und damit die Interessierten mehr Gewicht bekommen.

Es ist ein Unsinn, zu glauben, der Stellvertretende (Politiker) würde regelmäßig besser entscheiden als die Vielzahl der Betroffenen (Wähler). Denn der Stellvertreter steckt in einem Netz voller Abhängigkeiten (Parteiendisziplin, finanzielle Zuwendungen von Lobbyisten, vorschnelle Festlegungen aus der Vergangenheit und Gesichtswahrungsrituale, In- und Out-Vorstellungen als Gruppenzwang, leichtfertige Wahlversprechen ect.), wohingegen die Mehrzahl der Wähler weitgehend unabhängig ist und damit die >Intelligenz der großen Anzahl< zum tragen kommt.

Auch hat z. B. der Europatest von Abgeordneten ans Licht gebracht, wie wenig sich diese wirklich mit den Dingen beschäftigen, über die sie abstimmen müssen. Damit ist also noch nicht einmal ein sachkundiger Vorteil gegeben. Wenn also der Politiker meist aus dem Bauch heraus entscheidet, warum nicht auch der Bürger?
Ich vermute, der wahre Beweggrund für Papiers Meinung ist sein Eliteschicht Dünkel, der seit ewigen Zeiten der Motor für Ungerechtigkeiten und Zurücksetzungen war.
Liebe Grüße
von Uel

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Re: Präsident des BVerfG Volksabstimmungen auf Bundesebene

Beitragvon AlexRE » Di 12. Jan 2010, 15:09

Uel hat geschrieben:Auch hat z. B. der Europatest von Abgeordneten ans Licht gebracht, wie wenig sich diese wirklich mit den Dingen beschäftigen, über die sie abstimmen müssen. Damit ist also noch nicht einmal ein sachkundiger Vorteil gegeben. Wenn also der Politiker meist aus dem Bauch heraus entscheidet, warum nicht auch der Bürger?
Ich vermute, der wahre Beweggrund für Papiers Meinung ist sein Eliteschicht Dünkel, der seit ewigen Zeiten der Motor für Ungerechtigkeiten und Zurücksetzungen war.


Hier noch einmal der Link zu der Fernsehsendung mit dem "Abgeordnetentest":

Link


So dünkelhaft, dass er diesen jämmerlichen Lakaien einer kleinen Handvoll von Spitzenparteibuchkarrieristen mehr politische Verantwortungsfähigkeit zutraut als der "Schwarmintelligenz" einer grossen Zahl von abstimmenden Bürgern, kann Herr Papier gar nicht sein. Hinter einer so unhaltbaren Äusserung muss man m. M. n. eine politische Gefälligkeit vermuten.
Der Stuttgarter OB Rommel:

Ich trete überall, wo das notwendig ist, der Meinung entgegen, der Umstand, dass die Diktatur zu allem fähig war, berechtige dazu, die Demokratie zu allem unfähig zu machen.
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Re: Präsident des BVerfG Volksabstimmungen auf Bundesebene

Beitragvon AlexRE » Sa 24. Dez 2011, 08:42

Nach Frau Lübbe-W. spricht sich auch der Verfassungsrichter Peter Huber (Nachfolger von Udo Di Fabio) klar für Volksabstimmungen auf Bundesebene aus:

Allein die Möglichkeit von Volksentscheiden führt zu einer Veränderung des Bewusstseins der Akteure der repräsentativen Demokratie. Sie verhandeln besser, sie erklären besser, sie agieren transparenter", sagte er.


http://www.freiepresse.de/NACHRICHTEN/DEUTSCHLAND/Verfassungsrichter-Huber-fordert-bundesweite-Volksentscheide-artikel7853784.php

Das habe ich auch schon des öfteren von Schweizer Bürgern vernommen. Selbst wenn aktuell keine Volksabstimmung ansteht, arbeiten die Parlametarier viel pflichtbewusster im Sinne des Gemeinwohls, weil ihnen ständig das Korrektiv der Volksinitiative als peinliche Negativbewertung ihrer Arbeit droht.
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Re: Präsident des BVerfG Volksabstimmungen auf Bundesebene

Beitragvon Livia » Sa 24. Dez 2011, 10:20

AlexRE hat geschrieben:Das habe ich auch schon des öfteren von Schweizer Bürgern vernommen. Selbst wenn aktuell keine Volksabstimmung ansteht, arbeiten die Parlametarier viel pflichtbewusster im Sinne des Gemeinwohls, weil ihnen ständig das Korrektiv der Volksinitiative als peinliche Negativbewertung ihrer Arbeit droht.


Das stimmt genau, die Parlamentarier wissen sehr gut, dass man sie entweder abwählt oder mit einer Initiative ausbremsen kann.
Viele Leute würden bereitwillig zugeben, dass sie sich langweilen; aber kaum einer würde zugeben, dass er langweilig ist.

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