Was suchen die Armenier in Bergkarabach?

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Was suchen die Armenier in Bergkarabach?

Beitragvon Livia » Do 15. Okt 2020, 16:40

Man muss kein ausgewiesener Kaukasus-Experte sein, um hier Klarheit zu schaffen.
14.10.2020
Von Henryk M. Broder

Seit der Konflikt zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken Armenien und Aserbaidschan um die Region Bergkarabach wieder entflammt ist, berichten die öffentlich-rechtlichen Medien der Bundesrepublik über die Lage im Kaukasus – mit einer Distanz, die nicht nur mit der Entfernung zu den Orten des Geschehens erklärt werden kann. So kommt in den Berichten immer wieder der Satz vor, Bergkarabach gehöre «völkerrechtlich» zu Aserbaidschan, werde aber mehrheitlich von «christlichen Armeniern» bewohnt.

(...)

Wohl wissend, dass man all diese Informationen nicht in einem Dreissig-Sekunden-Beitrag unterbringen kann, schrieb ich am 27. September die Redaktion der «Tagesthemen» an und bat um Aufklärung: «Sie brachten in den ‹Tagesthemen› von heute einen Bericht über den Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan. Darin hiess es, das Gebiet von Bergkarabach gehöre ‹völkerrechtlich› zu Aserbaidschan. Wären Sie bitte so freundlich, mich wissen zu lassen, auf welchen Paragrafen des Völkerrechts sich diese Bemerkung bezog und welches Völkerrechtsgericht über die völkerrechtliche Zugehörigkeit von Bergkarabach entschieden hat?»

Das ist jetzt zwei Wochen her. Der zuständige Redaktor liest sich noch immer in das Thema ein; es kann aber sein, dass er bereits an einer Antwort feilt. Gut Ding will Weile haben.

(...)

Es geht auch anders. Einem Kollegen war aufgefallen, dass «inzwischen in fast jedem ‹Tatort› das Thema Rechtsradikalismus aufgegriffen» wird, aber so gut wie nie Straftaten vorkommen, die von Linksradikalen oder Flüchtlingen begangen werden. Es gebe, schrieb er an die «Tatort»-Redaktion, «nicht nur Opfer aus der Bevölkerungsgruppe der Geflüchteten und der linken Szene, sondern auch jede Menge Täter». Die «Tatort»-Redaktoren sollten sich mal «‹Aktenzeichen XY . . . ungelöst› aufmerksam anschauen», dort würden sie die entsprechenden «Täterbeschreibungen» finden.

Der Hinweis auf ein Programm des ZDF muss die «Tatort»-Redaktion dermassen erbost haben, dass sie umgehend zu einer Sitzung zusammentrat, um den Vorwurf, sie sei auf einem Auge blind, vom Tisch zu räumen. Beim «Tatort» handle es sich «um ein reines Unterhaltungsformat», liess sie den Zuschauer wissen. «Zwar werden gesellschaftlich relevante Themen aufgegriffen, ihre Behandlung dient aber ausschliesslich der Zerstreuung und Entspannung.

(...)

Das war keine sinnvolle und sachlich-differenzierte Stellungnahme, es war eine Zurechtweisung, wie sie eigentlich nur zwischen einem Vormund und seinem Mündel üblich ist. Fehlte nur die Drohung, man werde dem Petenten den Zugang zum ARD-Programm entziehen, sollte er der Aufforderung, «sachlicher zu differenzieren», nicht folgen.

Klingt übertrieben, ich weiss. Aber Leuten, die «Mörder» gendern, traue ich alles zu.

https://www.weltwoche.ch/ausgaben/2020- ... -2020.html
Viele Leute würden bereitwillig zugeben, dass sie sich langweilen; aber kaum einer würde zugeben, dass er langweilig ist.

Erich Fromm
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Re: Was suchen die Armenier in Bergkarabach?

Beitragvon AlexRE » Do 15. Okt 2020, 17:42

«Zwar werden gesellschaftlich relevante Themen aufgegriffen, ihre Behandlung dient aber ausschliesslich der Zerstreuung und Entspannung. Wie die Handlung verläuft und wer am Schluss als MörderIn überführt wird, orientiert sich an dramaturgischen Erwägungen und verfolgt keinerlei andersgeartete Interessen.


Das ist geradezu dummdreist gelogen, weil jedem Depp der Widerspruch zwischen "gesellschaftlich relevante Themen aufgreifen" und "aussschließlich Zerstreuung und Entspannung dienen" ins Auge sticht.

Was die völkerrechtliche Zugehörigkeit Bergkarabachs betrifft - die ergibt sich daraus, dass Aserbaidschan international anerkannt ist, die Unabhängigkeitserklärung der Armenier in Bergkarabach aber nicht:

Die Republik Arzach (armenisch Արցախի Հանրապետություն Arzachi Hanrapetutjun), bis 2017 Republik Bergkarabach, ist ein stabilisierter De-facto-Staat in Bergkarabach, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird. Die Vereinten Nationen und der Europarat betrachten das überwiegend von Armeniern bewohnte Gebiet als Bestandteil Aserbaidschans.


https://de.wikipedia.org/wiki/Republik_Arzach
Der Stuttgarter OB Rommel:

Ich trete überall, wo das notwendig ist, der Meinung entgegen, der Umstand, dass die Diktatur zu allem fähig war, berechtige dazu, die Demokratie zu allem unfähig zu machen.
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Re: Was suchen die Armenier in Bergkarabach?

Beitragvon icke » So 18. Okt 2020, 10:41

Hier die Resolution des Europaparlaments aus 1988. 1. Arzach ist Teil Armeniens, weil ethnisch zu 80% armenisch. 2. Arzach ist Teil Armeniens, weil historisch immer armenisch gewesen. 3. Azeris haben die Armenier brutal massakriert! Da hatten die Azeris noch kein Geld, um die Europäer zu bestechen.

Bereits am 12. September 1988 verurteilte das Europäische Parlament in einem gemeinsamen Beschluss, die antiarmenischen Pogrome in Aserbaidschan; stellte eine Bedrohung der Sicherheit für die in Aserbaidschan lebenden Armenier fest und unterstützte die Forderung der Bergkarabach-Armenier nach Wiedervereinigung mit der Armenischen SSR.

https://eur-lex.europa.eu/legal-content ... D1XrxbKgLA
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Re: Was suchen die Armenier in Bergkarabach?

Beitragvon Uel » So 18. Okt 2020, 13:38

International

Der Europarat betrachtet Bergkarabach als ein von „separatistischen Kräften“ kontrolliertes Gebiet. In der am 20. Mai 2010 verabschiedeten Resolution No. 2216 begrüßte das Europäische Parlament, dass es zu Gesprächen zwischen den Staatspräsidenten Armeniens und Aserbaidschans gekommen war, und rief die Konfliktparteien zu einer Intensivierung ihrer Friedensbemühungen auf und allen Flüchtlingen – seien sie Armenier oder Aserbaidschaner – das Recht auf Rückkehr in ihre Wohnungen zu gewährleisten. Gleichzeitig rief es zur Stationierung internationaler Streitkräfte bis zu einer Klärung des Status von Bergkarabach parallel zu einem Rückzug der Armenier aus den besetzten aserbaidschanischen Gebieten auf. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat in drei Erklärungen bestätigt, dass Bergkarabach zum aserbaidschanischen Gebiet gehört. Bisher hat kein Staat die Unabhängigkeit der Republik Bergkarabach anerkannt.


Bedeutung des Konfliktes für die beteiligten Staaten

Der Konflikt um Bergkarabach hat zum einen die Stabilisierung der ersten unabhängigen Republiken Armenien und Aserbaidschan zu Beginn des 20. Jahrhunderts behindert sowie die Einmischung dritter Mächte, insbesondere der Türkei und Russlands, zuvor der Sowjetunion, erlaubt. Er wurde zum wesentlichen Bestandteil des Nationalbewusstseins beider Nationen, jenem Armeniens nach dem nicht zufriedenstellenden Kompromiss von 1921 und jenem Aserbaidschans nach dem erneuten Ausbruch des Konflikts Ende der 1980er Jahre. Außerdem war der Bergkarabachkonflikt eine der Ursache für das Erstarken der Opposition in den beteiligten Sowjetrepubliken und den Zerfall der UdSSR in dieser Region.
---- Laut Wiki scheint die 1988 Position des EU-Parlaments und die diplomatisch-völkerrechtliche Position des Europarats im Widerspruch zu stehen, oder? Nicht verwunderlich beim Europarat, denn dort sitzen alle "Verdächtigen" beieinander.

Im April 2018 kam eine unabhängige Expertenkommission aus ehemaligen Richtern zu dem Ergebnis, dass es starke Hinweise auf Bestechlichkeit bei mehreren aktiven und ehemaligen Mitgliedern des Europarates gebe. Die Personen hätten offenbar gegen Zuwendungen Positionen zugunsten Aserbaidschans eingenommen und sich bemüht, Erklärungen zur Missachtung der Menschenrechte in Aserbaidschan zu verhindern oder abzumildern. Es wurden mehrere Personen namentlich genannt, darunter der ehemalige Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, Pedro Agramunt, und die ehemaligen Abgeordneten Eduard Lintner und Karin Strenz (MdB).
Liebe Grüße
von Uel

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Re: Was suchen die Armenier in Bergkarabach?

Beitragvon Uel » Di 26. Sep 2023, 11:11

Polemik:

... und wieder mal Bergkarabach, wo eine über 100järige stets "toxische gewalttätige Ehe" nicht geschieden werden kann. Wegen der dominater Völker Rechte schönes "Völkerrecht", dass uns diese mit stetig wiederholten Kriegen und Vertreibungen versorgt. Da können die Ukrainer aber von Glück reden, dass damals der betrunkene Jelzin und nicht Putin an der Macht war und sie ihre Unabhängigkeit geschenkt bekamen. Ansonsten wäre heute das Völkerrecht gegen die Ukaine und Putins Verbrechen wären Völkerrecht.

In der UN hat sich viel Unrat angesammelt, wenn man fast 80 Jahre lang nicht aufräumt und modernisiert.

Es ist doch das Interesse von ehemaligen Kolonialmächten oder Weltmächten, dass große Staaten sich nicht in kleinere Staaten so einfach zerlegen dürfen, also toxische Ehen nicht geschieden werden dürfen.

Aber je kleiner ein Staat ist, desto weniger Kriegsgefahr geht von ihm aus. Ich glaube nicht, dass San Marino oder Lichtenstein jemals auf die Idee kämen, irgendeinem Staat den Krieg zu erklären. Ich wette, Bergkarabach würde ein friedlicherer Ort, wenn es selbständig wäre und unter UN-Schutz stünde. Aber geht ja nicht, UN-Völkerrecht wegen des Friedens auf der Welt ... - die müssen bei Aserbaidschan bleiben, obwohl die es nachweislich* nicht gut mit ihnen meinen. Das hatten selbst schon die Sowjets vor langer Zeit kapiert und dieser Region den Status einer autonomen Oblast zugebilligt.

Aber Taiwan ist halt wichtiger für eine US-Außenministerin als eine abgelegene Berggegend.

* eine vom Islam getriebene Türkei hat ihren Völkermord an den Armeniern immer noch nicht moralisch aufgearbeitet, da kann Aserbaidschan dem Vorbild ungefährdet nachfolgen und die mehrheitlich Armenier aus Bergkarabach entfernen, schließlich geht es um Landnahne und nicht um Menschen.
Liebe Grüße
von Uel

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Re: Was suchen die Armenier in Bergkarabach?

Beitragvon Staber » Di 26. Sep 2023, 16:24

Werte User!
Welche Rolle spielen die umliegenden Großmächte? Ich beschreibe es mal wie ich das sehe!
Die Türkei hat in diesem Krieg Aserbaidschan massiv unterstützt, mit Waffen und wahrscheinlich auch mit Söldnern.* Der türkische Präsident Erdoğan sieht sich gern in der Rolle einer regionalen Großmacht. Ohne ihn geht gar nichts, so tut er. Den Ausgang des Kriegs darf er als Erfolg verbuchen. Allerdings hat Russlands Wladimir dem türkischen Präsidenten klar die Grenzen aufgezeigt. Denn der Waffenstillstand wird von russischen Truppen abgesichert. Damit demonstriert Putin: Im Kaukasus läuft nach wie vor nichts ohne mich.
Armenien beklagt sich darüber, der Westen habe es allein gelassen. Bei genauerer Betrachtung hat der Westen allerdings kaum Handlungsmöglichkeiten gehabt. Wie auch. Denn die Besatzung aserbaidschanischen Territoriums durch Armenien war nicht durch das Völkerrecht gedeckt. Es gab drei UN-Resolutionen, die Armenien aufforderten, das besetzte Gebiet zu räumen. Hätten die EU oder die USA Armenien unterstützt, dann hätten sie dabei geholfen, ein Territorium gegen einen Nachbarn zu verteidigen, das hochoffiziell jenem Nachbarn gehört. Da sich der Westen stets gerne das Völkerrecht auf die Fahnen schreibt, wäre er in eine gewisse Erklärungsnot gekommen. Frage wie geht es jetzt weiter?
Im Waffenstillstandsabkommen ist der künftige Status Berg-Karabachs nicht geregelt. Das Beste, was die Armenier nun noch herausholen könnten, wäre eine innere Autonomie Berg-Karabachs unter aserbaidschanischer Hoheit. Auf mehr hatten sie allerdings völkerrechtlich nie Anspruch.

* https://www.sueddeutsche.de/politik/erd ... -1.6254734

https://de.wikipedia.org/wiki/Türkisch-Armenischer_Krieg#:~:text=Der%20Türkisch-Armenische%20Krieg%20war,Türkei%20und%20Nordwesten%20Armeniens%20stattfand.
Eine Träne zu trocknen ist ehrenvoller als Ströme von Blut zu vergießen.
Lord George Gordon Noel Byron
Gesund bleiben !
Gruß Staber
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Re: Was suchen die Armenier in Bergkarabach?

Beitragvon AlexRE » Di 26. Sep 2023, 18:47

Ethnische Säuberungen sind auch nicht vom Völkerrecht gedeckt. Bei der Position des Europarates zu diesem Konflikt hat bekanntlich Bestechung eine Rolle gespielt. Bei manchen UNO - Beschlüssen drängt sich dieser Verdacht auch auf.
Der Stuttgarter OB Rommel:

Ich trete überall, wo das notwendig ist, der Meinung entgegen, der Umstand, dass die Diktatur zu allem fähig war, berechtige dazu, die Demokratie zu allem unfähig zu machen.
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