Minarette und Volksabstimmungen

Soll die neue Verfassung Volksabstimmungen nach bekanntem Muster vorsehen oder muss man über neue, auf die Bundesrepublik zugeschnittene Modelle nachdenken?

Minarette und Volksabstimmungen

Beitragvon Matthias_Dilthey » Mo 30. Nov 2009, 14:01

In der Schweiz wurde über ein Bau-verbot von Minaretten per Volksentscheid befunden.

Eine freie Glaubensausübung sollte Bestandteil jeder freiheitlichen Verfassung sein. Zur freien Glaubensausübung zählt auch die Möglichkeit, Gotteshäuser nach alten Traditionen errichten zu dürfen. Und zu einer Moschee gehört auch ein Minarett, wie zu einer christlichen Kirche ein Kirchturm. Diese Auffassung ist schlichtweg Fakt und gestützt von der in westlichen Demokratien üblichen Trennung von Staat und Kirche sowie vom Recht auf freie Glaubensausübung zwingend herzuleiten bzw. gedeckt.

Heute wurde in der Schweiz per Volksentscheid ein Verbot des Minarett-Baus ausgesprochen. Ein tiefgreifender Einschnitt in die Menschenrechte mit Signalwirkung sowohl für die islamische Welt, als auch für die christliche Welt.
Wussten die Menschen in der Schweiz eigentlich, was sie bei diesem Volksentscheid entschieden haben?
Letztendlich haben sich die Menschen in der Schweiz um ein wichtiges Menschenrecht gebracht, sind wie Lemminge der Propaganda einiger geistig verirrter Nationalisten gefolgt und "von der Klippe gesprungen". Kollektiver Suizid!

Die Abstimmung in der Schweiz, einem in direkter Demokratie sehr erfahrenen Land, hat damit belegt, dass mit dem Instrument der Volksabstimmung sehr vorsichtig umgegangen werden sollte ...

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Re: Minarette und Volksabstimmungen

Beitragvon AlexRE » Mo 30. Nov 2009, 14:20

Matthias_Dilthey hat geschrieben:Die Abstimmung in der Schweiz, einem in direkter Demokratie sehr erfahrenen Land, hat damit belegt, dass mit dem Instrument der Volksabstimmung sehr vorsichtig umgegangen werden sollte ...

Aus Forum der PsgD


Die Umsetzung des Ergebnisses der aktuellen Schweizer Volksabstimmung ist keineswegs gesichert, für die Schweiz verbindliches Völkerrecht geht vor:

Ob das Bauverbot tatsächlich in die Verfassung des Landes aufgenommen wird, ist jedoch fraglich. Rechtsexperten betonen, ein Bauverbot verstoße wahrscheinlich gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte könnte das Bauverbot für Minarette in der Schweiz stoppen. „Gegen das Bauverbot wird sicher vor dem Gerichtshof geklagt“, sagte der Berner Islamwissenschaftler Reinhard Schulze.


Quelle: morgenpost.de


Was das Parlament nicht beschliessen dürfte, darf eine Volksabstimmung auch nicht gegen die europäische Menschenrechtskonvention oder die Menschenrechtserklärung zur UNO - Charta zu Recht erklären.

Ich persönlich bin allerdings der Rechtsauffassung, dass im Konfliktfall zwischen Religionsfreiheit und negativer Religionsfreiheit (das aus den selben Artikeln abzuleitende Recht, sich bestimmten oder allen Religionen fernzuhalten) im Zweifel immer die negative Religionsfreiheit vorgeht. Im Falle des Islam müssen sich deshalb m. M. n. auch noch so friedliche Mehrheiten angesichts der aggressiven und intoleranten Minderheit innerhalb dieser Religion die Rechte der Angehörigen anderer Religionen und die von Atheisten und Agnostikern entgegenhalten lassen. Da spielt die Verschuldensfrage keine Rolle.
Der Stuttgarter OB Rommel:

Ich trete überall, wo das notwendig ist, der Meinung entgegen, der Umstand, dass die Diktatur zu allem fähig war, berechtige dazu, die Demokratie zu allem unfähig zu machen.
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Re: Minarette und Volksabstimmungen

Beitragvon Matthias_Dilthey » Mo 30. Nov 2009, 14:40

Es dreht sich doch nicht darum, ob der Volksentscheid umgesetzt werden kann. Es dreht sich vielmehr darum, dass die Menschen sogar in der Volksabstimmungs-erprobten Schweiz sich kurzsichtig von irrationalen Ängsten und Befürchtungen leiten lassen.
Und wie Populisten gezielt Stimmungsmache betreiben können und dadurch rational gesehen falsche Entscheidungen herbei führen können!
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Re: Minarette und Volksabstimmungen

Beitragvon AlexRE » Mo 30. Nov 2009, 14:44

Der Vorrang von Verfassungs- und Völkerrecht spielt im Zusammenhang mit Volksabstimmungen m. M. n. durchaus eine zentrale Rolle, dadurch wird verhindert, dass die Rechte von Minderheiten und Einzelnen durch die direkte Demokratie gefährdet werden.

Zudem muss man das Schweizer Modell ja nicht 1 zu 1 übernehmen, ich blende keineswegs aus, dass die Schweiz das letzte demokratische Land der Welt war, das wegen der vorherigen Ergebnisse von Volksabstimmungen zu dem Thema erst 1971 das Frauenwahlrecht einführen konnte.

Alle seriösen Modelle für Volksabstimmungen auf Bundesebene in Deutschland sehen die Überprüfung von Abstimmungsthemen auf verfassungsrechtliche Zulässigkeit vor. Wenn das Verbot von Minaretten die Religionsfreiheit von Muslimen beeinträchtigt, hätte so eine Volksabstimmung nach den deutschen Modellen für die direkte Demokratie gar nicht erst stattfinden dürfen.
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Re: Minarette und Volksabstimmungen

Beitragvon Matthias_Dilthey » Mo 30. Nov 2009, 15:41

AlexRE hat geschrieben:Der Vorrang von Verfassungs- und Völkerrecht spielt im Zusammenhang mit Volksabstimmungen m. M. n. durchaus eine zentrale Rolle, dadurch wird verhindert, dass die Rechte von Minderheiten und Einzelnen durch die direkte Demokratie gefährdet werden.

Wenn das Verbot von Minaretten die Religionsfreiheit von Muslimen beeinträchtigt, hätte so eine Volksabstimmung nach den deutschen Modellen für die direkte Demokratie gar nicht erst stattfinden dürfen.


Und wie lange wird es dauern, bis findige Populisten eine Möglichkeit gefunden haben, diesen Passus aus der Verfassung streichen zu können? Sie haben ja des Mittel der Volksabstimmung!
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Re: Minarette und Volksabstimmungen

Beitragvon AlexRE » Mo 30. Nov 2009, 15:44

Matthias_Dilthey hat geschrieben:Und wie lange wird es dauern, bis findige Populisten eine Möglichkeit gefunden haben, diesen Passus aus der Verfassung streichen zu können? Sie haben ja des Mittel der Volksabstimmung!



Dazu bedürfte es dann einer 2/3 Mehrheit bei einer Volksabstimmung, das wird schwierig für Populisten aller Art. Und selbst wenn es theoretisch solche Mehrheiten für Verfassungsänderungen gäbe, stünde das sog. "ewige Verfassungsrecht" des Artikel 79 Abs. 3 GG nicht zur Debatte. Dazu gehört über das Rechtsstaatsprinzip nach Artikel 20 Abs. 3 auch die Wesensgehaltsgarantie für Grundrechte nach Artikel 19 Abs. 2 GG:

http://dejure.org/gesetze/GG/19.html

Das Prinzip des Schutzes von Einzelnen und Minderheiten vor der "Tyrannei der Mehrheit" mittels Verfassungsrecht muss durch gut durchdachte direktdemokratische Elemente auf Bundesebene keineswegs aufgeweicht werden. Die Option auf Volksabstimmungen ist vielmehr geeignet, als Korrektiv gegen Aufweichungen des Demokratieprinzips zu wirken. Das Demokratieprinzip wird m. M. n. schwer beschädigt, wenn zentrale Wahlkampfaussagen oder gar das eigene Parteiprogramm der Wahlsieger nach der Wahl missachtet werden. Dadurch wird dem Wähler und Volkssouverän jede Möglichkeit der inhaltlichen Mitbestimmung politischer Gestaltungen entzogen - und zwar grob verfassungswidrig, weil nach dem Demokratieprinzip alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht.
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Re: Minarette und Volksabstimmungen

Beitragvon AlexRE » Mo 30. Nov 2009, 21:21

Hier ein sehr interessanter Artikel eines ägyptischen Schriftstellers zu der Abstimmung in der Schweiz:

zeit.de

Die in dem Artikel beschriebene Problematik kommt mir irgendwie bekannt vor:

Wenn das die arabischen Regierungen machen, wird daraus nichts. Sie sind viel zu bürokratisch und korrupt. Es gibt ja schon viele Moscheen und muslimische Zentren in Europa, aber die sind dominiert von wahhabitischen Strömungen und finanziert von saudischem Ölgeld. Wie heißt es so schön - wes Geld ich nehm, des Lied ich sing.

(...)

Bei uns gab es das erste Kino, die erste Frau im Parlament, wir hatten als erstes muslimisches Land das Frauenwahlrecht. Die große Wende kam Anfang der achtziger Jahre: Da hieß es plötzlich aus der saudischen Ecke, eine Frau als Schauspielerin oder Sängerin, das sei gegen die Religion. Heute gibt es in Ägypten 17 saudische TV-Kanäle, die jeden Tag diesen engstirnigen Islam propagieren. Wenn Sie vor 30 Jahren in Ägypten gesagt hätten, Frauen sollten ihr Gesicht verdecken, hätte man Sie ausgelacht.


Das Problem bei der Wurzel zu packen und die Wahabiten politisch und ökonomisch zu zernieren, würde den aktuellen wirtschaftlichen Interessen von Amerikanern und Euopäern zuwiderlaufen. Also nimmt man lieber Kriege zur Symptombekämpfung in Kauf.
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Re: Minarette und Volksabstimmungen

Beitragvon AlexRE » Di 1. Dez 2009, 19:18

Das habe ich heute auf dem Artikel 5 - Forum zu diesem Thema geschrieben:
__________________________________

Spider9999 hat geschrieben:Ob man christliche Kirchenbauten grundsätzlich unbedingt architektonisch ansprechender findet als Moscheen/Minarette, darüber lässt sich ebenfalls vortrefflich streiten ! :?


Darüber, ob die von der EMRK (Art. 9) geschützte Religionsfreiheit von Einzelnen und Minderheiten zu ihrer Ausübung Kirchtürme und Minarette erforderlich macht, lässt sich auch streiten und es wird vor Gericht darüber gestritten werden.

Für eine Beschränkung der demokratischen Rechte der Mehrheit - des Volkssouveräns - brauchst Du schon eine handfeste Rechtsposition und ein Übergewicht bei der Abwägung mit anderern hochrangigen Rechtsgütern. Das sehe ich bei den Minaretten nicht.

Allenfalls der allgemeine Gleichheitsgrundsatz (bzw. das Diskriminierungsverbot der EMRK) könnte hier verletzt sein, aber bei Vorliegen gewichtiger sachlicher Gründe darf man ohne Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes Unterschiede machen. Die Kirchtürme waren vorher da und fügen sich in das vorhandene Stadtbild ein, Minarette nicht. Das ist schon mal ein Unterschied.

Über die religiös - inhaltlichen Unterschiede streite ich mich lieber nicht, die Richter am EuGHMR kriegen schliesslich einen Haufen Geld dafür, dass sie das für mich mit entscheiden... 8)
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Re: Minarette und Volksabstimmungen

Beitragvon DJ_rainbow » Mi 2. Dez 2009, 09:00

Matthias_Dilthey hat geschrieben:In der Schweiz wurde über ein Bau-verbot von Minaretten per Volksentscheid befunden.

Eine freie Glaubensausübung sollte Bestandteil jeder freiheitlichen Verfassung sein. Zur freien Glaubensausübung zählt auch die Möglichkeit, Gotteshäuser nach alten Traditionen errichten zu dürfen. Und zu einer Moschee gehört auch ein Minarett, wie zu einer christlichen Kirche ein Kirchturm. Diese Auffassung ist schlichtweg Fakt und gestützt von der in westlichen Demokratien üblichen Trennung von Staat und Kirche sowie vom Recht auf freie Glaubensausübung zwingend herzuleiten bzw. gedeckt.

Heute wurde in der Schweiz per Volksentscheid ein Verbot des Minarett-Baus ausgesprochen. Ein tiefgreifender Einschnitt in die Menschenrechte mit Signalwirkung sowohl für die islamische Welt, als auch für die christliche Welt.
Wussten die Menschen in der Schweiz eigentlich, was sie bei diesem Volksentscheid entschieden haben?
Letztendlich haben sich die Menschen in der Schweiz um ein wichtiges Menschenrecht gebracht, sind wie Lemminge der Propaganda einiger geistig verirrter Nationalisten gefolgt und "von der Klippe gesprungen". Kollektiver Suizid!

Die Abstimmung in der Schweiz, einem in direkter Demokratie sehr erfahrenen Land, hat damit belegt, dass mit dem Instrument der Volksabstimmung sehr vorsichtig umgegangen werden sollte ...

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Hallo Matthias,

so sehr ich Dich sonst (ausgenommen das BGE) schätze - hier hast Du Dich mbMn verrannt. Es ist Deine Meinung, die darfst Du haben und äußern - ich darf sie für falsch halten.

Auch ich meine, dass die Schweizer Bevölkerung nicht über die Religionsfreiheit i. e. S. (also die Freiheit des Einzelnen, einer bestimmten Religion anzugehören oder eben auch nicht) abgestimmt hat, sondern über die visuelle und akustische Darstellung von Religionsreklame und Macht- und Beherrschungsanspruch.

Was bei solchen Diskussionen immer zu kurz kommt, ist die von Alex so genannte "negative Religionsfreiheit" - insbesondere das Recht des Einzelnen, von Reklame und geäußerten Machtansprüchen diverser Religionen verschont zu bleiben. Und ja, ich würde das nicht nur auf Minarette beziehen, sondern ebenso auf Kirchen und Kirchtürme mit ihrem nervigen Gebimmel zu nachtschlafener und unchristlicher Zeit. Als ob die Jünger dieses Aberglaubens keinen Kalender und keine Uhr hätten.

Ich ganz persönlich würde sogar noch weitergehen und Religion zu 100 % zur Privatsache machen, also einen strengen Laizismus zur "Staatsreligion" machen. Weg mit der Kirchensteuer, weg mit dem Religionsunterricht, weg mit Konkordaten und ähnlichen Verträgen, die den Pfaffen Sonderrechte und finanzielle Privilegien gegenüber Anders- und Nichtgläubigen einräumen.

Wer meint, ohne eine wie im einzelnen auch immer geartete Religionskrücke nicht durchs Leben kommen zu können, darf das gern in Anspruch nehmen - soll dann aber auch für diese Dienstleistung zahlen. So wie ich meinen Friseur ja auch selbst bezahle. :mrgreen:

Hinzu kommt natürlich, dass die blutige und massenmörderische Geschichte der pseudochristlichen (weil 150 % unjesuanischen!) Großsekten objektiv, unabhängig und umfassend aufgearbeitet werden muss. Wenn das und die finanzielle Entschädigung der Hinterbliebenen christlichen Terrors die Großsekten ruiniert, werde ich darüber ganz bestimmt nicht traurig sein.

Um auch noch mal kurz auf den Aspekt "direkte Demokratie" einzugehen: Selbstverständlich ist das Volk nicht davor gefeit, falsche Entscheidungen zu treffen. Da haben sie mit den Politkaspern im Kern etwas gemeinsam. Aber das Gesetz der großen Zahl und die kollektive Schwarmintelligenz der von den Entscheidungen direkt betroffenen Masse an Menschen sorgen in der Tendenz dafür, dass die Ergebnisse direkter Demokratie in Summe weniger falsch sind als die Entscheidungen weniger, von den Folgen nicht direkt betroffener Politkasper.
In der Demokratie mästen sich Sozialisten in Parlamenten. Im Sozialismus hungern Demokraten in Zuchthäusern und Arbeitslagern.

Modi bei http://www.radio-xtream.de

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Re: Minarette und Volksabstimmungen

Beitragvon AlexRE » Mi 2. Dez 2009, 14:41

Die türkische Regierung spielt sich als Beschützer der entrechteten Moslems auf, natürlich nicht ohne diese Gelegenheit mitzunehmen:

Berlin - Nach dem Minarett-Votum in der Schweiz hat der türkische Europaminister wohlhabende Muslime aufgerufen, ihre Vermögen aus der Alpenrepublik abzuziehen und in der Türkei anzulegen. Schließlich habe der türkische Bankensektor die jüngste Finanzkrise unbeschadet überstanden, sagte Minister Egemen Bagis nach Presseberichten vom Mittwoch. Zugleich rief Bagis die Schweizer auf, die "fehlerhafte Entscheidung" vom vergangenen Sonntag zu korrigieren.


Quelle: Spiegel Online

Wir werden ja sehen, ob die Moslems, die aus welchen Gründen auch immer ihr Geld in der Schweiz angelegt haben, nun ihr Vertrauen lieber dem türkischen Finanzsektor schenken. Ich glaube nicht daran.
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