von Excubitor » So 28. Apr 2019, 18:49
Gleich auf welches Sachgebiet man die Aufmerksamkeit richtet, die Qualität deutscher Politik, insbesondere der Legislative nimmt mit zunehmender Geschwindigkeit ab. Immer mehr Gesetze bedürfen der erheblichen Nachbesserung, was eindeutig dafür spricht, dass diese einfach nur noch "mit der heißen Nadel zusammen geschustert" wurden, ohne dass man sich im vorhinein ausreichend Gedanken dazu gemacht und es im Hinblick auf Vollständigkeit und mögliche Problemkonstellationen sauber ausgearbeitet hat. Darüber hinaus werden seit langem bestehende Probleme gar nicht erst bearbeitet, sondern bei Protest kurz angerissen und dann unter den Teppich gekehrt.
Ein paar konkrete Beispiele von unzähligen:
Die sogenannte Mietpreis-Bremse war seit langer Zeit überfällig, ist aber disfunktionabler Murks geworden.
Man hat es in Jahrzehnten nicht geschafft ein funktionierendes, gerechtes Mietrecht zu schaffen. Ich nenne das Totalversagen. Für den Fall, dass das sogar gewollt ist, handelt es sich um Neo-Feudalismus. Bei der Wohnflächenberechnung beispielsweise werden unnötiger Weise noch heute drei verschiedene Bemessungsgrundlagen verwendet, was völlig unnötige Konflikte hervorruft. Darüber hinaus lässt es die Rechtsprechung zu, dass 10 % gar nicht vorhandener Wohnfläche seitens der Vermieter als sog. "Fehlertoleranz" berechnet werden dürfen, ohne dass der Mieter Schadenersatz geltend machen kann. Eine völlig irreale und unnötige "Toleranz", die man im Normalfall als Betrug bezeichnen würde und die mit einem einzigen Satz in einem Urteil aus 2015 hätte beseitigt werden können. 2016 sollte es dazu bereits eine Gesetzesvorlage geben. Was ist geschehen? Rein gar nichts. Ebenso hätte man auch eine allein gültige Bemessungsgrundlage längst feststellen können. Auch der deutsche Mieterbund hat dazu nur ein paarmal kurz "gebellt", und nichts weiter erreicht ...
Die Ungerechtigkeit geht weiter, gedeckt von Politik und Rechtsprechung. Was ist los in diesem verlogenen Land? Gibt es hier niemanden mehr mit Rückgrat?
Jetzt wird seitens Arbeitsminister Heil so getan als würde es eine Verbesserung für Paket-Dienstleister geben. Nur kommt der wichtigste Punkt gar nicht in seiner Vorlage vor. Denn was fehlt ist ein grundsätzliches Arbeitszeitgesetz, welches festschreibt, dass für alle Berufe, und nicht nur für ausgewählte, verbindlich jede Handlung die in direktem Zusammenhang mit der Ausübung der Haupttätigkeit steht, zur Arbeitszeit gerechnet wird. Was heute tatsächlich stattfindet ist teils Ausbeutung reinsten Wassers, dass nämlich, um bei den Paketdiensten zu bleiben, das Beladen der Fahrzeuge nicht als Arbeitszeit gerechnet wird. Geht es noch? Das soll hier ein Rechts- und Sozialstaat sein? Das ist neo-feudalistische Ausbeutung unter Rückendeckung der politischen Nomenklatur.
Darüber hinaus findet ebenfalls beim gesamten Niedriglohn-Sektor, übrigens vom Ex Kanzler Gerd "der mutmaßliche Blender" Schröder weitgehend etabliert, eine indiskutable Ausbeutungspraxis statt, d.h. in Fällen der Leiharbeit genauso wie bei 450 Euro-Jobs, bei denen heute nicht nur unzumutbare Bewerbungsunterlagen, nämlich dieselben wie bei Vollzeittätigkeiten, verlangt werden, sondern die so Beschäftigten fast noch Geld mitbringen müssen, um die Tätigkeit auszuüben ... Beispielsweise gibt es massenhaft Jobs, bei denen die Beschäftigten mit eigenem Fahrzeug tätig werden sollen und natürlich keinen Fahrtkosten-Ersatz bekommen. Das bedeutet, der Arbeitgeber spart Sozialabgaben, Fahrt-und Transportkosten und der wahrscheinlich auf die Tätigkeit Angewiesene soll all dies übernehmen, wird aber nur "auf Basis" des 450 Euro-Jobs bezahlt, also nur für tatsächlich geleistete Stunden. Dabei bekommt man die tatsächliche Einkünfte oft nicht einmal genannt, sondern auf dahingehende Nachfrage den Job nicht ...
Viele Pizza-Fahrer realisieren gar nicht, dass das Ganze bei näherem Hinsehen für sie sogar schnell zum Minus-Geschäft werden kann. Denn es ist eine Milchmädchenrechnung nur das verbrauchte Benzin zu veranschlagen und nicht die gesamten Fahrzeugkosten! Selbst für einen Kleinwagen muss man heute zwischen 22 und 25 Eurocent pro Kilometer rechnen. Je länger die gefahrenen Strecken, desto schneller lohnt es sich nicht mehr. Im Extremfall gerät man sogar ins Minus und der Arbeitgeber freut sich scheckig und reibt sich die Hände.
Nicht zu vergessen, dass 2 Millionen Arbeitnehmer in Deutschland trotz Anspruchs den gesetzlichen Mindestlohn gar nicht bekommen. Was soll ein gesetzlicher Mindestlohn der nicht oder nur mit großen und vor allem teuren juristischen Anstrengungen durchsetzbar ist?
Diese Liste ließe sich nahezu beliebig fortsetzen. Dieses Land ist nicht annähernd so rechtsstaatlich oder sozial wie Politiker immer vollmundig, mutmaßlich verlogen, vorheucheln. Die Realität schreibt andere Geschichten. Aber das schlimmst daran ist: Niemand ändert etwas. Nach jeder Wahl der absolut gleiche Mist und die Bevölkerung kapiert es nicht, obwohl der einzig mögliche Schluss auf der Hand liegt.
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Excubitor am Mo 29. Apr 2019, 16:20, insgesamt 1-mal geändert.
© TU Graz Solidarität mit den Menschen in der UkraineWer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren. (Berthold Brecht)