Gerade auf politikarena.net geschrieben:
Countryjoe hat geschrieben:Anstatt sich in die extreme Lage des ehemaligen Opfers zu versetzen und einen Notwehrexzess geltend zu machen, wird nun aus dem sicheren(?) Gerichtssaal jede Sekunde des gesamten Vorfalls juristisch gegen den Rentner ausgewertet.
Ein Notwehrexzess ( = Überschreitung des Notwehrrechts ) ist strafbar und gerade das, was dem Rentner jetzt vorgeworfen wird. Anfangs hatte die StA ja behauptet, dass er sein Eigentumsrecht an seinen 2000 Euro, die der erschossene Jugendliche bei sich trug, durch den Todesschuss schützen durfte.
Was Du meinst, ist eine Strafbefreiung nach § 33 StGB wegen Überschreitung des Notwehrrechts aus Verwirrung oder Furcht. Diese Frage ist jetzt immer noch offen, es könnte durchaus sein, dass das Gericht einen Fall des § 33 annimmt.
Tatsache ist doch, daß jeder der in eine Situation kommt, in der Notwehr oder Nothilfe angebracht ist, zunächst einen Fachanwalt als Berater konsultieren sollte, um nicht verknackt zu werden. Denn der Justiz ist es doch lieber wenn sich einer widerstandslos totschlagen läßt. Die Täter kann man ja dann, je nach politischer Korrektheit wieder laufen lassen.
Wenn ein Millionär einen Jugendlichen erschießt, nur um 2000 Euro zu retten, hätte er sich eigentlich denken können, dass er deshalb Ärger bekommt. Dieser Fall ist also nicht gerade prototypisch für die echten Probleme, die wir mit der Entwicklung der Rechtsprechung zum Notwehrrecht in Deutschland haben. Die sind allerdings gravierend.
Ein bisheriger Tiefpunkt in dieser Entwicklung ist sicher das Urteil gegen den Münchener Informatikstudenten Sven G., besonders wenn man diese Entscheidung des 1. Senats des BGH mit der diametral entgegenstehenden Entscheidung des 2. Senats vergleicht, der einem Rocker noch nicht einmal einen Warnschuss zumuten wollte, obgleich die vermeintlichen Angreifer die Haustür noch gar nicht offenbekommen hatten.
Obwohl das einfach nur zwei falsche Entscheidungen sind - einmal eine klar bestehende Notwehrlage nicht erkannt und einmal eine ebenso klare Überschreitung des Notwehrrechts verkannt - haben die beiden Senate aus der Sicht des Normalbürgers totale Rechtsunsicherheit geschaffen und damit die schlimmstmögliche Fehlleistung abgeliefert, die einem Obergericht unterlaufen kann.
Das Urteil gegen den Informatikstudenten ist in der Fachwelt auch sehr scharf kritisiert worden, insbesondere von dem Strafrechtsexperten Prof. Erb:
GasGerd hat geschrieben:So, hier der versprochene Auszug aus Prof. Erbs Aufsatz. Leider mit einiger Verspätung, ich habe es nicht hinbekommen, aus einer PDF - Datei zu kopieren und musste die m. E. wesentlichen Aussagen abtippen:
Der entscheidende Gesichtspunkt, den der Verteidiger in seinem Plädoyer offenbar zutreffend angesprochen, das Gericht jedoch in seiner Urteilsbegründung völlig unterschlagen hat, ist aber die Erfahrung des Angreifers in körperlichen Auseinandersetzungen, über die dieser seinem Auftreten nach zu urteilen (so stellte es sich jedenfalls aus der Perspektive des Angeklagten dar, die man für die ex – ante – Beurteilung der Erforderlichkeit zugrunde legen muss). Wie eine gutachterliche Stellungnahme der Einsatztrainer der Polizeiakademie Hessen, die aufgrund deren besonderer Sachkunde in Fragen der Selbstverteidigung und in den Erfahrungswerten polizeilicher Praxis über den typischen Verlauf gewalttätiger Auseinandersetzungen vom Verfasser eingeholt wurde einhellig zum Ausdruck bringt (sich m. E. aber auch schon nach dem gesunden Menschenverstand förmlich aufdrängt), lässt dieser Umstand die Bedeutung von Größe, Gewicht und selbst Kraft von Kontrahenten für ihre Chancen, sich in der Auseinandersetzung erfolgreich zu behaupten, weitestgehend in den Hintergrund treten.
(…)
Wenn dabei so abwegige Spekulationen wie besagte Behauptung, ein übergewichtiges Gewaltopfer können gegen einen 5 cm kleineren, aber gut normalgewichtigen, hochaggressiven und mutmaßlich erfahrenen Schläger problemlos "sein überlegenes Körpergewicht" einsetzen, um diesen ohne Eingehung nennenswerter eigener Risiken "kraftvoll von sich zu stoßen und den Angriff auf diese Weise zu beenden," von einem Senat des BGH (und zuvor von einem Vertreter des GBA) als tragender Bestandteil angeblich, "rechtsfehlerfreier Tatsachenfeststellungen" akzeptiert werden, erscheint dies in höchstem Maße besorgniserregend. Für künftige Fälle bleibt die Hoffnung, dass der BGH Tendenzen bestimmter Untergerichte zur Aushöhlung des Notwehrrechts wieder in bewährter Form entgegentreten wird.
"Volker Erb
Zur Aushöhlung des Notwehrrechts durch lebensfremde tatrichterliche Unterstellungen
- Zugleich eine Besprechung von LG München I, Urt. v. 9. 1.2009 - 1 Ks 121 Js 10 459/08 ( "Fall Sven G." ) - NStZ 2011, 186-193"
viewtopic.php?f=7&t=91&start=80P. S.
Hier ist Grundgesetz Aktiv die Originalquelle, der Aufsatz ist nämlich nicht im Netz veröffentlicht. Für den Auszug musste eine Teilnehmerin unseres Forums den Aufsatz in einer Bibliothek kopieren und ein anderer die Textpassagen abschreiben.