Nicht nur der linksgrüne Personenkreis in Deutschland versucht die Meinungsvielfalt zu drosseln. Gibt's auch in den USA. Andersdenkende werden wie Feinde behandelt, stigmatisiert und isoliert. Schlimmstenfalls bekommt der Meinungsabweichler keinen Fuß mehr in die Tür.
Mike Remmert schreibt: „Es ist der wichtigste Text, der in den letzten 30 Jahren von einer Journalistin geschrieben wurde. Das Kündigungsschreiben von Bari Weiss an die Chefredaktion der New York Times. Jeder Satz dieses mehrseitigen Briefes ist ein Treffer. Und jeder Journalist sowie jeder, der irgendwas von Journalisten liest, sollte diesen Brief gelesen haben - auch wenn es zehn Minuten dauert. Hier ist er, in einer sehr guten deutschen Übersetzung (ich habe den amerikanischen Originaltext, wer mag, dem ich schicke ich ihn gerne zu):“
"Sehr geehrter A. G.,
mit großer Wehmut teile ich Ihnen mit, dass ich die „New York Times“verlassen werde.
Voller Dankbarkeit und Optimismus bin ich vor drei Jahren der Zeitungsredaktion beigetreten. Ich wurde mit dem Ziel angestellt, Stimmen ins Boot zu holen, die sonst nicht auf Ihren Seiten erscheinen würden: Junge Autoren, Vertreter der politischen Mitte, Konservative und andere, die die „Times“ nicht natürlicherweise als ihre Heimat betrachten würden.
Der Grund für diese Bemühungen war klar: Die Zeitung hatte den Ausgang der Wahlen im Jahr 2016 nicht kommen sehen, sie hatte keine klare Vorstellung von dem Land, über das sie berichtet. Dean Baquet und andere haben das bei diversen Anlässen auch zugegeben. Die Priorität in der Meinungsredaktion bestand nun darin, diesen entscheidend wichtigen Mangel zu beheben.
Es war mir eine Ehre, unter der Ägide von James Bennet Teil dieser Bemühungen zu sein. Ich bin stolz auf meine Arbeit als Autorin und Redakteurin. Zu denen, die ich für unsere Meinungsseiten gewinnen konnte, gehören der venezolanische Dissident Wuilly Arteaga, die iranische Schachmeisterin Dorsa Derakhshani und der Christdemokrat Derek Lam aus Hongkong. Außerdem: Ayaan Hirsi Ali, Masih Alinejad, Zaina Arafat, Elna Baker, Rachael Denhollander, Matti Friedman, Nick Gillespie, Heather Heying, Randall Kennedy, Julius Krein, Monica Lewinsky, Glenn Loury, Jesse Singal, Ali Soufan, Chloé Valdary, Thomas Chatterton Williams, Wesley Yang und viele andere.
Aber die Lehren, die aus den Wahlen hätten gezogen werden sollen – Lehren über die Wichtigkeit, andere Amerikaner zu verstehen, die Notwendigkeit, dem politisch-gesellschaftlichen Stammesdenken zu widerstehen, und die zentrale Bedeutung des freien Austauschs von Ideen für eine demokratische Gesellschaft – wurden nicht gezogen.
Stattdessen hat sich ein neuer Konsens in der Presse, aber vielleicht vor allem bei dieser Zeitung herauskristallisiert: dass die Wahrheit kein Prozess der kollektiven Entdeckungsreise ist, sondern eine feststehende Meinung, die bereits einigen wenigen Aufgeklärten bekannt ist, deren Aufgabe es nun ist, alle anderen zu beeinflussen.
Twitter steht nicht im Impressum der „New York Times“. Aber Twitter ist ihr eigentlicher Chefredakteur geworden. Da die Maßstäbe und Gebräuche dieser Plattform zu denen der Zeitung geworden sind, ist die Zeitung selbst zunehmend zu einer Art Bühne geworden. Die Themen werden so ausgewählt und erzählt, dass sie nur eine eng begrenzte Zielgruppe zufriedenstellen, statt einer wissbegierigen Leserschaft zu erlauben, sich über die Welt zu informieren und dann ihre eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen.
Mir wurde immer beigebracht, dass es die Aufgabe von Journalisten sei, die erste Grobskizze der Geschichte zu zeichnen. Heute aber ist die Geschichte selbst nichts weiter mehr als eine flüchtige Episode, die in eine Form gepresst wird, um den Bedürfnissen einer vorgegebenen Weltsicht zu entsprechen.
Meine eigenen Streifzüge in die Welt des „Falschen Denkens“ haben mich zum Ziel ständiger Schikanen von Kollegen gemacht, die mit meinen Ansichten nicht einverstanden sind. Sie haben mich Nazi und Rassistin genannt; ich habe gelernt, Kommentare darüber, dass ich „schon wieder über die Juden schreibe“, an mir abperlen zu lassen. Mehrere Kollegen, die als meine Freunde betrachtet wurden, wurden von Kollegen gemobbt.
Meine Arbeit und meine Person werden in den redaktionsinternen Kommunikationsnetzen offen herabgesetzt, und Impressumsredakteure geben dort regelmäßig ihre Meinung dazu zum Besten. Dort beharren einige Kollegen darauf, dass ich wie Unkraut entfernt werden müsse, wenn dieses Unternehmen wirklich „inklusiv“ sein solle, während andere neben meinem Namen Axt-Emojis posten.
Wieder andere Mitarbeiter der „New York Times“ verleumden mich öffentlich auf Twitter als Lügnerin und Fanatikerin – ohne jegliche Angst, mich zu mobben könne Sanktionen nach sich ziehen. Das geschieht in der Tat auch nie.
Es gibt Begriffe für all dies: rechtswidrige Diskriminierung, feindseliges Arbeitsumfeld und außerordentliche Kündigung. Ich bin kein Rechtsexperte. Aber ich weiß, dass all dies nicht rechtens ist.
Ich verstehe nicht, wie Sie ein solches Verhalten in Ihrem Unternehmen vor den Augen der gesamten Belegschaft und der Öffentlichkeit zulassen konnten. Und schon gar nicht kann ich miteinander in Einklang bringen, wie Sie und andere Führungskräfte der „Times“ einerseits das alles haben laufen lassen, während Sie mich gleichzeitig unter vier Augen für meine Courage belobigten. Als Vertreterin der Mitte bei einer amerikanischen Zeitung zur Arbeit zu erscheinen sollte keine Tapferkeit erfordern.
Ich würde gerne sagen können, meine Erlebnisse seien ein Einzelfall. Aber die Wahrheit ist, dass intellektuelle Neugier – ganz zu schweigen von Risikobereitschaft – bei der „Times“ heutzutage eine Belastung ist. Warum etwas bringen, das für unsere Leser unbequem ist, warum etwas Gewagtes schreiben, nur um es in einem geisttötenden Prozess ideologisch koscher zu machen, wenn wir unsere Arbeitsplätze (und Klicks) dadurch sichern können, dass wir das 4000. Meinungsstück zu „Warum Donald Trump eine Gefahr für unser Land und die ganze Welt ist“ bringen? Darum ist die Selbstzensur zur Norm geworden.
Diejenigen Regeln, die bei der „Times“ noch gelten, werden mit extremer Subjektivität angewandt. Vertritt jemand die neue Orthodoxie, bleiben die Betreffenden und ihre Arbeit unhinterfragt. Alle anderen leben in Angst vor dem digitalen Thunderdome. Online-Gehässigkeit wird entschuldigt, solange sie sich gegen die richtigen Ziele richtet.
Meinungsbeiträge, die noch vor zwei Jahren problemlos veröffentlicht worden wären, brächten heute einen Redakteur oder Autor in ernste Schwierigkeiten, wenn nicht sogar um den Job. Kann ein Text intern oder im Netz für Gegenreaktionen sorgen, vermeidet es der Redakteur oder Autor, ihn zu empfehlen.
Fühlt man sich stark genug, ihn vorzuschlagen, wird man schnell auf sicherere Bahnen gelenkt. Gelingt es hin und wieder tatsächlich, einen Beitrag zu veröffentlichen, der nicht ausdrücklich progressive Anliegen fördert, dann erst, nachdem jede Zeile genauestens redigiert, durchdiskutiert und mit Vorbehalten versehen wurde.
Es kostete die Zeitung zwei Tage und zwei Arbeitsplätze, um zu sagen, dass der Beitrag von Tom Cotton „hinter unseren Standards zurückblieb“. Die Reisegeschichte über Jaffa bekam kurz nach ihrem Erscheinen einen Vermerk, dass in ihr „wichtige Aspekte der Struktur und Geschichte Jaffas zu kurz kamen“. Aber es gibt immer noch keinen solchen Vorbehalt hinter Cheryl Strayds schmeichelndem Interview der Schriftstellerin Alice Walker, einer stolzen Antisemitin, die an Echsen-Illuminati glaubt.
Das Leitmedium „New York Times“ wird mehr und mehr zum Leitmedium derer, die in einer weit entfernten Galaxie leben, einer Galaxie, die mit den Alltagssorgen der meisten Menschen nichts zu tun hat. Es ist eine Galaxie, in der, um nur einige Beispiele aus jüngster Zeit zu nennen, das sowjetische Raumfahrtprogramm für seine (geschlechtliche und ethnische) „Vielfalt“ gelobt wird; in der es geduldet wird, dass im Namen der Gerechtigkeit die persönlichen Daten von Jugendlichen im Internet preisgegeben werden; und dass zu den schlimmsten Kastensystemen in der Geschichte der Menschheit neben Nazideutschland gleichermaßen die Vereinigten Staaten gehören.
Auch heute noch vertraue ich darauf, dass die meisten Mitarbeiter der „New York Times“ diese Ansichten nicht teilen. Trotzdem lassen sie sich von denen einschüchtern, die solche Ansichten vertreten. Warum? Vielleicht, weil sie glauben, dass das Endziel gerecht ist.
Vielleicht, weil sie glauben, dass ihnen Schutz gewährt wird, wenn sie abnicken, dass die Währung unseres Fachgebiets – die Sprache – in den Dienst einer sich ständig wandelnden Liste gesellschaftlich akzeptierter Anliegen gezwungen wird. Vielleicht, weil es in diesem Land Millionen Arbeitslose gibt und sie sich glücklich schätzen, einen Job in einer Branche zu haben, die richtige Arbeitsverträge kennt.
Oder liegt es vielleicht daran, dass sie wissen: Heutzutage sind keine Lorbeeren mehr zu erwarten, wenn man bei der Zeitung für Prinzipien eintritt? Man gerät damit nur in die Schusslinie. Zu klug, um unternehmensintern etwas zu posten, schreiben sie mir unter vier Augen über den „neuen McCarthyismus“, der in der Zeitung um sich greift.
All das verheißt nichts Gutes, schon gar nicht für unabhängige junge Autoren und Herausgeber, die genau darauf achten, was sie tun müssen, um in ihrer Karriere voranzukommen. Regel eins: Äußern Sie Ihre Meinung auf eigene Gefahr. Regel zwei: Riskieren Sie nie, eine Geschichte in Auftrag zu geben, die der vorgegebenen Weltsicht zuwiderläuft. Regel drei: Glauben Sie nie einem Redakteur oder Verleger, der Sie dazu drängt, gegen den Strich zu bürsten. Irgendwann wird der Verleger dem Mob nachgeben, der Redakteur wird gefeuert oder versetzt, und Sie bleiben im Regen stehen.
Für junge Autoren und Redakteure gibt es einen Trost: Obwohl Orte wie die „New York Times“ und andere einst große journalistische Institutionen ihre Standards verraten und ihre Prinzipien aus den Augen verlieren, hungern die Amerikaner immer noch nach Nachrichten, die präzise sind, nach Meinungen, die unerlässlich sind, und nach einer Debatte, die aufrichtig ist.
Ich höre jeden Tag von solchen Menschen. „Eine unabhängige Presse ist weder ein liberales Ideal noch ein fortschrittliches Ideal oder ein demokratisches Ideal. Es ist ein amerikanisches Ideal“, sagten Sie vor einigen Jahren. Ich könnte nicht stärker zustimmen. Amerika ist ein großartiges Land, das eine großartige Zeitung verdient.
Immer noch arbeiten einige der talentiertesten Journalisten der Welt für diese Zeitung. Genau das macht das illiberale Umfeld besonders herzzerreißend. Ich werde, wie immer, Ihre Texte verschlingen. Aber ich kann nicht mehr das tun, wofür Sie mich geholt haben – die Arbeit, die Adolph Ochs in dieser berühmten Erklärung von 1896 beschrieben hat: „Aus den Kolumnen der ‚New York Times‘ ein Forum für die Erörterung aller Fragen von öffentlicher Bedeutung zu machen und zu diesem Zweck eine intelligente Diskussion aus allen Ecken des Meinungsspektrums einzuladen.“
Ochs‘ Idee ist eine der besten, die mir je begegnet sind. Und ich habe mich immer mit dem Gedanken getröstet, dass die besten Ideen gewinnen. Aber Ideen können sich nicht allein durchsetzen. Sie brauchen eine Stimme. Sie brauchen eine Anhörung. Vor allem müssen sie von Menschen unterstützt werden, die bereit sind, sie wirklich zu leben.
Hochachtungsvoll, Bari"