Man muss kein ausgewiesener Kaukasus-Experte sein, um hier Klarheit zu schaffen.
14.10.2020
Von Henryk M. Broder
Seit der Konflikt zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken Armenien und Aserbaidschan um die Region Bergkarabach wieder entflammt ist, berichten die öffentlich-rechtlichen Medien der Bundesrepublik über die Lage im Kaukasus – mit einer Distanz, die nicht nur mit der Entfernung zu den Orten des Geschehens erklärt werden kann. So kommt in den Berichten immer wieder der Satz vor, Bergkarabach gehöre «völkerrechtlich» zu Aserbaidschan, werde aber mehrheitlich von «christlichen Armeniern» bewohnt.
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Wohl wissend, dass man all diese Informationen nicht in einem Dreissig-Sekunden-Beitrag unterbringen kann, schrieb ich am 27. September die Redaktion der «Tagesthemen» an und bat um Aufklärung: «Sie brachten in den ‹Tagesthemen› von heute einen Bericht über den Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan. Darin hiess es, das Gebiet von Bergkarabach gehöre ‹völkerrechtlich› zu Aserbaidschan. Wären Sie bitte so freundlich, mich wissen zu lassen, auf welchen Paragrafen des Völkerrechts sich diese Bemerkung bezog und welches Völkerrechtsgericht über die völkerrechtliche Zugehörigkeit von Bergkarabach entschieden hat?»
Das ist jetzt zwei Wochen her. Der zuständige Redaktor liest sich noch immer in das Thema ein; es kann aber sein, dass er bereits an einer Antwort feilt. Gut Ding will Weile haben.
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Es geht auch anders. Einem Kollegen war aufgefallen, dass «inzwischen in fast jedem ‹Tatort› das Thema Rechtsradikalismus aufgegriffen» wird, aber so gut wie nie Straftaten vorkommen, die von Linksradikalen oder Flüchtlingen begangen werden. Es gebe, schrieb er an die «Tatort»-Redaktion, «nicht nur Opfer aus der Bevölkerungsgruppe der Geflüchteten und der linken Szene, sondern auch jede Menge Täter». Die «Tatort»-Redaktoren sollten sich mal «‹Aktenzeichen XY . . . ungelöst› aufmerksam anschauen», dort würden sie die entsprechenden «Täterbeschreibungen» finden.
Der Hinweis auf ein Programm des ZDF muss die «Tatort»-Redaktion dermassen erbost haben, dass sie umgehend zu einer Sitzung zusammentrat, um den Vorwurf, sie sei auf einem Auge blind, vom Tisch zu räumen. Beim «Tatort» handle es sich «um ein reines Unterhaltungsformat», liess sie den Zuschauer wissen. «Zwar werden gesellschaftlich relevante Themen aufgegriffen, ihre Behandlung dient aber ausschliesslich der Zerstreuung und Entspannung.
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Das war keine sinnvolle und sachlich-differenzierte Stellungnahme, es war eine Zurechtweisung, wie sie eigentlich nur zwischen einem Vormund und seinem Mündel üblich ist. Fehlte nur die Drohung, man werde dem Petenten den Zugang zum ARD-Programm entziehen, sollte er der Aufforderung, «sachlicher zu differenzieren», nicht folgen.
Klingt übertrieben, ich weiss. Aber Leuten, die «Mörder» gendern, traue ich alles zu.
https://www.weltwoche.ch/ausgaben/2020- ... -2020.html