FOCUS ONLINE Gesundheit - "Infektiologe Löscher im Gespräch -Freibrief für normales Leben? Professor erklärt, was neue Antikörpertests bringen"
"Große Hoffnungen in Bezug auf die Ausbreitung des Coronavirus hängen an Antikörpertests.
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Warum Antikörpertests so wichtig sind
Anders als der PCR-Test als Nachweis für eine aktuelle Infektion mit dem Virus soll der Antikörpertest zeigen, dass die Sars-CoV-2-Infektion überstanden ist. Er soll positiv ausfallen nicht nur dann, wenn die Infektion deutliche Symptome hervorrief, sondern auch bei mildem bis asymptomatischen Verlauf. Liegen Antikörper vor, so die allgemeine Annahme, soll der Betroffene (wenigstens eine Zeit lang) immun gegen das Coronavirus sein und letztlich auch nicht mehr andere anstecken können
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„In Deutschland ist aktuell nur ein Test zertifiziert, ein im Labor durchzuführender sog. ELISA-Test“, berichtet Infektiologe Thomas Löscher. Dieser Test wird und wurde auch für die Studien in Heinsberg und München verwendet. Der Vorteil dieses Labortests: Er ist automatisierbar und kann deshalb auch Massen-Proben auswerten.
Dabei wird auf verschiedene Antikörper geprüft, die das Abwehrsystem als Immunantwort auf Sars-CoV-2 bildet, wie Immunglobulin-A- und Immunglobulin-G-Antikörper. Diese und andere Antikörper lassen sich jedoch erst rund zehn bis vierzehn Tage nach der Infektion im Blut nachweisen.
Schnelltests, die meist aus China importiert werden und weder hinreichend validiert noch zertifiziert sind, sieht der Experte eher kritisch. Manchmal, so konnten er und sein Team beobachten, schlugen sie falsch negativ an, obwohl Antikörper vorlagen, wenn auch in nicht hoher Zahl.
Auch Labortest liefert nicht immer verlässliche Ergebnisse
Doch auch die Ergebnisse, die Labortests wie der ELISA-Test liefern, stimmen nicht immer. In einer dänischen Studie (*), die verschiedene Antikörpertests verglich, schnitten zwar Labortests besser ab als Schnelltests. Trotzdem erreichten sie nicht ganz die 99 Prozent Trefferquote, die einen hochwertigen Test ausmachen sollte. „Es gibt teilweise falsch positive Ergebnisse“, berichtet der Professor.
Das könne daran liegen, dass eine andere Coronavirus-Infektion zurückliegt, mit einem der vier weiteren, aber harmlosen Erkältungs-Coronaviren (Kreuzreaktion). Der Untersuchte hat in diesem Fall Covid-19 also noch gar nicht gehabt, meint aber durch das falsch positive Ergebnis, er sei dagegen immun.
Umgekehrt gibt es gelegentlich auch falsch negative Ergebnisse, das heißt trotz durchgemachter Infektion mit Virus-Nachweis sind keine Antikörper nachweisbar.
„Alle diese Antikörper-Tests sind nicht 100-prozentig spezifisch oder sensitiv“, fasst Löscher zusammen. Spezifisch heißt in diesem Zusammenhang, dass Antikörper nur nach durchgemachter Infektion mit dem Sars-CoV-2-Virus nachweisbar sind. Sensitiv, dass dies bei jedem Infizierten möglich ist.
Auch beim ELISA-Test, so schätzt der Experte, sind ein bis zwei Prozent falsch positiv. Das hätte unter anderem die Untersuchung der schon lange vor Corona gewonnenen Proben von Blutspendern ergeben.
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Sicheren Nachweis bringt nur aufwändiger Neutralisationstest
Wenn der Labortest ein positives Ergebnis zeigt, könnte ein zusätzliches Verfahren, der Neutralisationstest, mehr Sicherheit bringen. Dieser Test weist nach, ob die Antikörper in der Lage sind, die Vermehrung von Sars-CoV-2 in einer Zellkultur zu hemmen. Solche neutralisierenden Antikörper gelten bei Viren als sehr spezifisch und auch als Zeichen für eine Immunität.
Allerdings ist das Verfahren sehr aufwändig, muss in einem Hochsicherheitslabor durchgeführt werden und nicht automatisierbar.
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Antikörpertests sind also noch nicht so sicher wie erhofft, können falsch negative und falsch positive Ergebnisse bringen. Das könnte im Durchschnitt bei rund zwei von 100 Untersuchungen so sein.
Positiver Antikörpertest bedeutet (noch) keine Garantie auf Immunität
Doch auch wenn angenommen wird, das positive Testergebnis stimmt, der Körper Sars-CoV-2 also bereits erfolgreich besiegt hat und entsprechende Antikörper vorliegen, gilt: „Das Virus hinterlässt wohl eine Immunität, doch genau wissen wir das nicht, wir nehmen es nur an“, dämpft Löscher zu hohe Erwartungen.
Allerdings spricht vieles dafür. Echte Zweitinfektionen wie sie aus China und Südkorea gemeldet wurden, sind zweifelhaft.
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Es ist also noch ungewiss, wie ausgeprägt die Immunität nach Covid-19 ist und wie lange sie anhält. Zu 100 Prozent verlassen kann sich momentan noch niemand auf eine Immunität, wenn der Antikörpertest positiv ausfällt.
Ansteckend noch lange nach Infektion?
Ebenso gibt es noch keine Erkenntnisse darüber, ob und wie lange nach überstandener Erkrankung der Betroffene andere Menschen infizieren kann. „Wir halten das zwar für unwahrscheinlich, aber genau weiß das keiner“, sagt der Infektiologe und erinnert daran, dass etwa bei Polio, also Kinderlähmung, Abwehrgeschwächte das Virus in seltenen Fällen noch monatelang bis Jahre ausscheiden.
Wann Antikörper-Tests trotzdem sinnvoll sind
Die hohen Erwartungen können Antikörpertest bisher nicht erfüllen. Allerdings „sind sie absolut sinnvoll und dabei auch kostengünstig für Populationsuntersuchungen zur Feststellung der Durchseuchung, also für die Seroepidemiologie“, sagt Löscher.
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Positiver Antikörpertest ist kein Freibrief
Alle anderen mit großflächigen Antikörpertests verbundene Hoffnungen sind jedoch (noch) unberechtigt. Antikörpertests werden also nicht alles verändern.
Ein positives Ergebnis darf nämlich nicht bedeuten, dass Distanz und sorgfältige Hygiene hinfällig werden, die Party wieder abgeht. „Das verbietet schon die Solidarität mit den anderen Menschen. Man darf nicht unterscheiden zwischen Positiven und Negativen“, gibt der Wissenschaftler zu bedenken. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass die Testergebnisse manchmal nicht verbindlich sein können. Auch im medizinischen Bereich sollte man sich darauf nicht verlassen, es wäre leichtsinnig, wenn medizinisches Personal sich deshalb nicht mehr schützt, so Löscher.
Damit rechnen, dass neue, bessere Antikörpertests diese Sicherheit bringen, dürfen wir allerdings noch lange nicht. Der Neutralisationstest lässt sich in absehbarer Zeit nicht so vereinfachen, dass er automatisierbar, kostengünstig und massentauglich wird.
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Ausführlich dazu die Quelle:
https://www.focus.de/gesundheit/news/in ... 22189.html
* Hier finden Sie mehr zu der dänischen Studie zum Vergleich von Antikörper-Tests: https://www.medrxiv.org/content/10.1101 ... 20056325v1
Bei dieser Darstellung handelt es sich um einen sogenannten "Preprint", was bedeutet, dass die Ergebnisse noch von anderen Wissenschaftlern begutachtet werden müssen, bevor sie als Leitfaden für eine klinische Praxis verwendet werden können.
Kommentar
Hoffen ist nicht verboten, sondern schon im Sinn der psychosozialen Gesundheit erwünscht. Dennoch zeigt auch dieses Interview, dass das Coronavirus betreffend dabei etwas Zurückhaltung angezeigt ist.