Die schöne Küngold und der Tanz am Looweiher
oder wie das Dorf Küngoldingen zu seinem Namen kam
Die Wartburghöfe liegen auf halbem Wege, will man vom Loohof ob Oftringen zum Sälischlössli gelangen. Mein Ziel aber war die Ruine Wartburg. Die betagte und dennoch rüstige Frau mit den auffallend behenden Augen, der ich unweit der Wartburghöfe begegnete und von der ich gleich nach dem "Grüessgottwohl" erfuhr, dass sie hier in der Gegend aufgewachsen sei und jeden Strauch und jeden Stein kenne, legte mir noch ans Herz, doch auf dem Rückweg bei ihr einzukehren um mich zu stärken, denn heute sei das Säli geschlossen. Sie habe eben einen feinen Suuren Mocken aus der Beize genommen und müsse ihn nur noch eine Stunde köcheln. Und eine halbe Rüeblitorte warte auch noch auf ein Schleckmaul. Weniger der Suure Mocken und die Torte entlockten mir schnell ein "Ja gerne", als vielmehr eine interessante Geschichte aus eben dieser Gegend, die sie mir zu erzählen in Aussicht gestellt hatte, falls ich dann mehr Zeit haben würde, denn jetzt in einer halben Stunde hatte ich oben mit einem Freund, einem Ruinenforscher, abgemacht. Und so fand ich mich drei Stunden später – es ging schon gegen Abend - in einer heimeligen Bauernstube ein. Die Alte mit den behenden Augen sass nun mit mir zu Tische und wusste aus alten Zeiten gar Sonderliches und Interessantes von der Burg, vom Berg, ja von der ganzen Gegend zu berichten, und so auch die Mär von der schönen Küngold.
***
"Küngold war eine anmutige, zierliche aber auch eigensinnige Jungfrau aus einer Adelsfamilie im Burgund. Sie liebte das Leben, das Lachen, den Tanz.
Doch dann wurde sie mit dem rauherzigen Twingherrn von der Wartburg ob Olten, den man nur den "Ifenthaler" nannte, verheiratet. Der aber liebte mehr das rohe Kriegshandwerk, Abenteuer und Zechgelage mit seinen Kumpanen und war mehr abwesend denn zu Hause. Einst folgte er wieder dem Beistandsruf des Gra-fen zu einem Feldzuge gegen Unbotmässige im Norden, wo viel Sold und Raubgut winkten. Derweil langweilte sich Küngold unsäglich auf der einsamen Burg. Sie sann nach Abwechslung. Der misstrauische Ehemann jedoch hatte ihr drei Bewacher zur Seite befohlen, die niemals von ihr weichen durften, so auch auf ihren Ausritten nicht, bei denen sie das Städtchen Zofingen bevorzugte.
Dort war sie auf dem Markte gern gesehen, denn sie bezahlte gut und mit den begehrten Zofinger Pfennigen. Heute kaufte Küngold feinen venezianischen Stoff für ein neues grünblaues Reitkleid und wurde dabei vom Sohne eines reichen Stoffhändlers bedient, dem Laurents vom Sisgau, der an der jungen Edelfrau sogleich grossen Gefallen fand. Doch auch Küngold’s Herz entbrannte in Zunei-gung und Begierde. Bald schon ritt sie erneut gegen Zofingen, diesmal um den Stoff für ein goldgelbes Abendkleid zu erstehen, und beim dritten Male liess sie sich vom schönen Kaufmannssohn gar ein Mieder in zartem Rosarot anpassen. Als unter zwei Händlern ein handfester Zoff wegen eines falschen Zollmasses ausbrach und man nach dem Marktrichter rief, steckte Küngold dem Kaufmannssohn geschwind ein Briefchen zu, was allerdings einem der Bewacher trotz des allgemeinen Tumultes nicht entgangen war. In dem Briefe forderte sie Laurents zu einem heimlichen Treffen in Kunolfingen auf, einem kleinen Dörfchen vor den Toren Zofingens. Stadtauswärts reitend blickte sie zurück und nahm klopfenden Herzens das Nicken des ihr nachblickenden Geliebten wahr.
Der Looweiher liegt am Waldrand und an jenem Wege, den Küngold jeweils bei ihrem Ausritt nach Zofingen bevorzugte. Es ging die Sage, zur dämmernden oder nächtlichen Stunde habe man
dort schon mehr als einmal einen Reigen tanzender Mädchen in langen bunten Gewändern beobachten können. Als Küngold auf dem Rückweg mit ihren drei Bewachern an eben diesem Weiher vorbeiritt, flüsterte ihr eine Loo-Elfe zu:
"Wir sind neun, mit dir sind’s zehn"
Erstaunt sah sich Küngold nach der Elfe um, die sich in schneller Folge von grünblau über goldgelb zu rosarot und dann in schwachen Dunst verwandelte, um darauf ganz zu verschwinden. Doch ihre Worte begriff sie nicht, und die drei Begleiter hatten vom Ganzen nichts bemerkt.
Als Küngold nach Einbruch der Nacht aus der Burg abschleichen wollte, erwarteten sie vor den Toren schon die drei misstrauisch gewordenen Begleiter: "Wir sind deine Bewacher, wie der Herr uns befohlen. Du wirst und niemals los." Küngold wollte schon verzweifeln, denn bald würde ihr geliebter Laurents vergebens unter der grossen Linde am Reckolderhubel zu Kunolfingen auf sie warten. Doch da fielen ihr die sonderbaren Worte der Elfe ein - und die kluge Frau begriff. In Begleitung ihrer Bewacher ritt sie mutig und erhobenen Hauptes den steilen Bergpfad hinunter.
Am Looweiher bot sich den Vieren ein gar wunderbares Schauspiel. Um das Wasser tanzten im Mondlicht neun anmutige elfenhafte Jungfrauen, jede von Kopf bis Fuss nur mit einem dünnen Schleier bedeckt, jeder Schleier in einer anderen Farbe und so, dass die zarten weiblichen Formen durchschimmerten ohne dass die Gesichter zu erkennen waren. Die drei Männer waren vom Anblick der anmutig tanzenden Elfen gebannt und starr. Dies machte sich Küngold zu eigen, um hinter einem Busch ihre Kleider abzustreifen, den bereitliegenden Schleier überzuwerfen und sich so als zehnte Tänzerin in den bunten Reigen einzugliedern, ohne dass die betörten Männer diesen Vorgang bemerkten. Da plötzlich erwachten sie aus ihrer Starre und erinnerten sie sich ihrer Pflicht. Doch Küngold, die unerkannt mittanzte, blieb wie vom Erdboden verschluckt. Die Bewacher suchten sie überall und entfernten sich dabei immer mehr vom Looweiher. Küngold schlüpfte wieder in ihre Kleider und ritt leise von dannen, hinunter zu ihrem Laurents.
Die verliebte Küngold aber wollte schon anderntags zu später Abendstund wieder einen Ausritt nach Zofingen machen. Die Bewacher fürchteten den Zorn des Burgherrn, genannt der Ifenthaler, sollten sie sich von dieser Frau wieder an der Nase herum führen und sie zu ihrem Geliebten entwischen lassen. Um im Anblick der Elfen nicht wieder zu erstarren, träufelten sie sich den Saft der Tollkirsche in die Augen, sodass sie eine Weile nur noch verschwommen sehen konnten und – deshalb - nicht mehr erstar-ren würden. Dafür spitzten sie umso mehr die Ohren und hörten tatsächlich, wie Küngold auf ihrem Schimmel sachte wegritt. Sie folgten ihr in ausreichendem Abstand und sahen, jetzt wieder klaren Blickes, wie sich Küngold unter der Linde am Reckolderhubel mit dem schönen Sohne des Kaufmannes traf.
Die drei Männer überfielen Laurents und schleppten ihn fort in Richtung der Wartburg. Ihr Weg führte wieder am Looweiher vorbei. Diesmal hatten die Elfen jedoch auch ihre Schleier abgelegt und tanzten ganz nacked im Mondeslicht. Von neuem blieben die drei Männer wie gebannt stehen und vergassen alles um sich, auch ihren Gefangenen. Diesen Augenblick nutzte Küngold, um Laurents die Fesseln zu lösen und ihm so zur Flucht zu verhelfen.
Der Ifenthaler kehrte zwei Monate später aus den fremden Kriegs-diensten auf seine Twingburg zurück und erkannte eines Tages, dass Küngold schwangeren Zustandes war, dessen Ursache in die Zeit fallen musste, als er mit seinen Haudegen gerade Bauerndörfer jenseits des Hauensteins plünderte. Er stellte die drei Bewa-cher zur Rede, die ihm nun alles beichteten. Da erkannte der Twingherr, dass ihm Hörner gesetzt wurden, und er suchte wütend nach seiner Frau. Diese aber entwischte ihm auf ihrem Schimmel, um sich am Looweiher im Reigen der Elfen zu verstecken. Der Ifenthaler bemerkte ihren Fortgang und jagte ihr mit seinen Männern nach. Am Looweiher fand er den angebundenen Schimmel und sah auch den Tanz der Elfen, von dem ihm die
Bewacher berichtet hatten. Er umstellte sofort den Teich mit seinen Mannen und fragte eine Elfe nach der andern: "Bist Küngold du?" Doch alle zehn antworteten ihm jedes Mal im Chor: "Ich bins, nur zu!" Nun entbrannte der ungestüme Ritter wieder in Wut und befahl seinen Mannen, sich mit ihren Schwertern auf die Elfen zu stürzen.
◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊◊
Da fuhr vom Engelberg her donnernd ein leuchtender Wagen her-an, durchbrach den Belagerungsring, lud alle Elfen und auch Kün-gold auf die Wagenbrücke und jagte mit ihnen südwärts, verfolgt vom Reitertross. Im Dörfchen Kunolfingen verschwand der Wagen plötzlich in einem regenbogenfarbenen Nebelschleier. Der Ifen-thaler und seine Waffenknechte aber stiessen stattdessen auf eine gehörig bewaffnete Streitschar der Zofinger, an deren Spitze Laurents, der Kaufmannssohn ritt. Ein seltsamer stattlicher Jägersmann mit stechenden Adleraugen hatte ihm rechtzeitig, als er sich gerade anschickte seine Pferde von der Weide ausserhalb der Stadtmauern zu holen, die Botschaft von Küngolds Not über-bracht. "Ich will nur mein ungetreues Weib", begehrte der Ifen-thaler im Anblick der bewaffneten Zofinger unwirsch auf. "Dann sucht sie!" rief ihm Laurents zu, "Es bleibt Euch bis zum Sonnen-untergang Zeit". Bis die Nacht hereinbrach suchten die Gehilfen des Twingherrn das ganze Dorf Haus für Haus nach Küngold ab. Doch sie blieb verschwunden.
Man sagt, der Führer des leuchtenden Wagens und der Warner des Kaufmannssohnes seien beide Male der sagenumwobene Dürst gewesen, der Freund und Beschützer der Looweiher-Elfen. Die Elfen jedoch tanzten nie mehr am Looweiher. Es gibt Leute, die wollen gesehen haben, wie die Jungfrauen ab selbiger Zeit jenseits der Wartburg und des Säli um den Katzenweiher im Säliloch tanzten. Andere wiederum wollen in Zofingen von burgundischen Weinhändlern gehört haben, in den Weinbergen der Cote d’Or tanzten seit einigen Monden an warmen Sommerabenden buntfarbene Elfen, die dort vorher noch nie gesehen wurden."
Die alte Frau mit den behenden Augen bot mir ein weiteres Stück ihrer etwas übersüssten Rüeblitorte an, doch ich winkte dankend ab. "Der Dürst, oder der Türst, wie er im Luzernerbiet genannt wird, geisterte also auch in hiesigen Landen?" "Ja, aber noch mehr im solothurnischen Gäu und Thal. Aber nun zurück zur Küngold:"
"Man sagte auch, das Paar habe unbeschadet das Burgund er-reicht, wo Laurents und Küngold in einem Weingut glücklich weiterlebten und neun Kinder hatten. Jedes der neun Tauffeste wurde von immer mehr Schaulustigen besucht. Es hatte sich nämlich herumgesprochen, dass bei jedem dieser Feste mit Einbruch der Nacht neun Elfen in wunderschönen farbigen Gewändern im Hofe vor dem Festsaale tanzten, gar anmutig und lieblich und von zarten Flötentönen begleitet. Laurents aber wurde im Burgund ein angesehener Weinbauer und Weinhändler, von dem die Zofinger Ratsherren noch lange ihren vorzüglichen Stadtwein bezogen.
Doch der Name der schönen Küngold fand gar Einlass in die Bücher der Amtsstuben und in die Karten der Geografen. Da nämlich damals in dem Dörfchen vor den Toren Zofingens von den Männern des Ifenthalers so oft und gar laut nach der Küngold gerufen worden war, und da dieser Name so nah dem alten tönte, nannten Fremde wie Eigene dieses Dorf fortan Küngoldingen und verdrängten so den ursprünglichen Namen des Alamannen Chunolf."
***
Küngold
Der Name Küngold kommt auch in alten dokumentierten Geschichten aus Zofingen, Solothurn etc. vor. Und in einer Legende aus dem Kloster Kleinlützel verliebt sich ein junger Graf unglücklich in eine fromme Nonne namens Küngold.
Dürst
oder Türst erscheint als Sagenfigur in vielen Geschichten aus verschiedenen Gegenden der Schweiz. Er stammt aus heidnischen Zeiten und führt in Stürmen und Gewittern besonders in der Vorweihnachtszeit einen wilden, heulenden und hornenden Tross von Hunden, Rössern und Gespenstern an.
Elfen
Sind anmutige Naturgeister in Frauengestalt, welche die Erde schon vor den Menschen bewohnten. Sie sind von grosser Weisheit und Schönheit und unsterblich, können aber auch gewaltsam ums Leben kommen. Die Elfen tanzen gerne an stillen Gewässern, auf Anhöhen und in Bäumen.
Kunolfingen
ist alamannischen Ursprunges und erscheint in alten Schriftstücken als Dorfname für den später gebräuchlicheren Namen Küngoldingen.
Der Zofinger Pfennig
war in Frühmittelalter ein weit über Zofingen hinaus verbreitetes Zahlungsmittel.
Die Herren von Ifenthal
waren begüterte Kleinadelige, denen unter anderem auch die Wartburg gehörte und welche sie vermutlich auch bauen liessen.
Quelle: Gehört und aufgeschrieben von Sepp Arnold, Oftringen (Schweiz), Emailzusendung vom 9. März 2006
Ich wohne in Oftringen/Küngoldingen, Zofingen grenzt an Oftringen und Olten ist nur etwa 9 oder 10 Kilometer von Oftringen entfernt. Das Sälischlössli kann ich bei schönem Wetter gut sehen, was ich auch oft besucht habe. Aber diese Geschichte habe ich noch nie gehört. Auf dem Loohof hat meine Mutter als junge Frau gearbeitet, den gibt's immer noch.