Uel hat geschrieben:Wir leben nicht mehr in einem kaputten Deutschland nach dem Krieg, wo es Mengen zu reparieren und erneuern gab, sondern in einem fast komplett ausgestatteten Luxus-Deutschland, schon fast überfrachtet mit Infrastruktur, Gebäuden, Ausrüstungen, Institutionen, Regeln ect., welches gerade mittels Supertechnologie auf Automatik gestellt wird. Dummerweise produzieren wir Deutschen dann auch noch die qualitativ hochwertigsten und langlebigsten Produkte.
Da sprichst Du ein ganz heikles Thema an. Wenn ich meine wirtschaftsgeschichtlichen Kenntnisse Revue passieren lasse, fällt mir weltweit nicht ein einziges Beispiel ein, nach dem das Ur - Selbstverständnis der Bundesrepublik namens "Wohlstand für alle" und das grundgesetzliche Postulat "Chancengleichheit" unter der Bedingung gesättigter Märkte und einer ausentwickelten Infrastruktur langfristig Bestand hatte.
Das hat immer nur zeitweise funktioniert, wenn es galt, durch Kriege verheerte Regionen wieder aufzubauen oder neu entdeckte Gebiete zu erschliessen. Danach haben die Mächtigen noch immer ihr weiteres Wachstum auf Kosten der Rechte und Besitzstände der Ohnmächtigen durchgesetzt.
Die Zeit des europäischen Spätmittelalters mit ihrer berüchtigten Bauernlegerei ist das deutlichste und lehrreichste Beispiel dafür:
Ernst Moritz Arndt Gesellschaft > Bauernlegen
Man muss also - nicht gerade ermutigend - feststellen, dass die heutige Erosion der Verfassungsrechtsgüter des Gleichheitsgrundsatzes, des Sozialstaatsprinzips und der wirtschaftlichen Freiheitsrechte auch der Schwachen in der Gesellschaft ein nachgerade natürlicher historischer Prozess ist. Dem wirksam zu begegnen ist nicht mehr und nicht weniger als eine völlig neue Herausforderung, die bislang in der ganzen Weltwirtschaftsgeschichte noch niemand bestanden hat.
Im fortgeschrittenen Atomwaffenzeitalter wird aber kein Krieg mehr kommen, der einen Neuaufbau mit wirtschaftlichen Chancen für alle erfordert. Wenn die heutigen Verfassungsdemokratien nicht lernen, ihre gesellschaftspolitischen Grundwertungen nicht mit friedlichen und rechtsstaatlichen Mitteln vor schweren Beschädigungen oder gar der Auflösung durch neuzeitliche Formen der Bauernlegerei zu schützen, kann es allenfalls zu solchen Konflikten kommen, die einen reibungslosen Aufbau in der Zeit danach nicht mehr zulassen, weil die Verheerungen irreparabel sind.